-- Ausgiebiger Strandlauf bis hinter die große Slopp. der Flutmarke lang. Nächtliche Tide ließ viel zurück. Seemoos, Tange, aller Art, Meersaite. Eiertrauben der Wellhornschnecke wie großporige Badeschwämme dazwischen. Inmengen Blasentang und Knotentang. Die Kinder hätten sich ein Vergnügen daraus machen können, diese beiden <Knappers> im Feuer zu dörren, bis die Blasen knallend platzen. Auch Meerlattich fand ich. Natürlich allerleiFiestals (Seesterne). Dazu Muscheln aller Art, selbst Bohrmuscheln; verrottetes Holz, Swartgood und ein Stückchen Bernstein; leere Eihüllen vom Katzenhai; klumpen dargiger Erde von irgendwo aus dem Urgrund von einst und Krebsreste. Zurück fußtief gewartet, daß der nasse Sand so recht wohlig durchquillt.
-- Wieder einmal ein paar Tage lang überhaupt in kein bürgerliches Gewand gestiegen. Herrlich diese Unbeschwertheit und Freiheit in Sonne und Wind! 1900 noch war es verboten, zwischen den Strandkörben barfus zu gehen.
Zum Krabbenfänger hinausgeschwommen. Hatte gute Beute seit dem frühen Morgen. War dauernd am Sieden. Im Netzt hing so mancher schlanke silbriger Tobias. Noch wenige Tage nur, dann sind Weib und Kind auch wieder dabei.
--Seit einer Stunde stieben Regen und Wind. Beim Baden ging ein prickelnder Schauer nieder. Doppelt schön. Zwischendurch ein paar Silberblicke. Aber die Sonne kam nicht durch. Kimmung blieb schwer verhangen. Flut kommt mächtig auf. Bei den Bänken draußen spritzen die Brecher wie Geiser. Dann weht sie der Wind weit aus, bis sie ins Graugrün der Wogen zurücksprühen. Wie ganze Geschwader staffeln die weißen Kämme in stiebendem Lauf hintereinander her.
--Messerscharf wieder die Kimm. Aber der Wind noch steif. Nach norden gegangen. Da locken nach tüchtigem Durchwehtsein die Dünentäler doppelt. Wohltuender Windschutz. Wie anders doch das Blühen in den Westkaapdünen und im stillen Blumental als draußen in der Randkette, wo zwischen Strandhafer neben blauerer Strandgerste nur vereinzelt Meersenf, seltener Kalisalzkraut, sonst nur noch Strandmelde und hellgrüne Salzschuppenmiere stehen und der immer weiter vordringenden Einwanderin von Übersee, der sparrigen Nachtkerze, begegnen.
Hier aber in den Binnentälern eine Fülle blühender Kleinwelt. Alte Freund grüße ich unter den kleinen, die so mancher Fremde nur zertritt, aber nicht sieht. Gelbes filigranblütiges Labkraut mit lichtblauem Heilkraut und Teufelsabbiß in einem Akkord. Wer sie aus dem Binnenland kennt, staunt über ihre zähe Anpassungsfähigkeit. Im Kampf mit dem Wind haben sie das Hochstreben aufgegeben, gehen aber, an dem Boden eng angeschmiegt, doppelt Blütenreich in die Breite. Die Lebensgemeinschaft der Dünenpflanzenwelt ist von ausgeprägter Eigenart und erhällt sich rein. Sumpfpflanzen fehlen heute ganz. Jedes Tälchen hat ein neues Gesicht. Dort herrschen Sandglöckchen, Hornklee oder Wundklee, dort Stechginster und Hauhechel vor. Disteln und löwenmäuliges Leinkraut, Dünenraute und Habichtskraut. Still und verschämt zwischen saftig dunklen Rauschebeeren, Kriechweide und Heidekraut blüht die maiglöckchenähnliche Pirola. Brätlich hier und dort ein Tuff weißer flachschaliger Anemonen dazwischen. Würzige Düfte atmen zwischen den Hängen. Je fester bewachsen die Dünen, desto häufiger an geschütztem Hang Engelsüß und nahe Farnverwandtschaften. Grasnelken sind langsam im Verblühen. Im Grung zwischen Blumental und Süderdünen, wo noch die Wiesen von Tausendgüldenkraut leuchten, versteckt sich auch seltener Sonnentau. Zwischen Deichen und Heller aber kommen die Seeastern schon mächtig ins strahlen.
--Wieder einmal Sonntag. Begonnen in Zwiesprache mit dem manigfaltigen Einst, das zwischen den Gräbern des Friedhofes um die Kirche redet. Darunter die der Toten mit und ohne Namen, die nach dem Seegefecht vor Helgoland das Meer an den Strand warf.
Es läutet. Mancher, den man vom Strand her dem Gesicht nach kennt, rückt in ein neues Licht, wenn man ihm sonntags nun in der Kirche begegnet in Gliedschaft mit der gleichen Gemeinde, die sich aus allen Gauen des Reiches schart. Den Altar schmücken eigenartig schön lichte Blüten aus Dorfgärten und Silberlaub aus Dünentälern. Den Tag beschließt eine Bach-Feierstunde in stiller nur von Kerzenlicht durchsungener Kirche.
--Rauhes Wetter. Mal Gelegenheit, zwischendurch in der farbenfrohe Lesehalle wieder einen Blich in Welt und Zeit zu tun. Warmbad und Inhalationseinrichtungen, auch im Doktorhaus, angesehen. Allerhand Achtung. Nun heißt es noch einen Platz belegen für die kommende Kinderburg. Ein Fähnlein in den Sand, einen niedrigen Wall gezogen. Damit verleiht Burgenrecht hier die Heimstatt. Bauen und schaufeln wollen sie allemal selber, die morgen kommen, daß wird ein Fest! Der Abendhimmel sieht gut aus. Das Wetter stellt sich schon wieder.
--Wie die Springflut sind sie da! Horrido! Alle fünf mit der Mutter.
-- <Fahrt in See> Die Großen mit. Für sie ein Neues. Aber auch eine Fahrt, die ein einziger Rausch von Farben und Rhythmus ist. Bis weit jenseits der Bänke. Seehunde sonnen sich auf den Platen, scheu freilich, nur mit dem Glas zu fassen, beim Näherkommen schoffeln sie sich schnell ins Wasser zurück. - Ein jauchzen unbändieger Freude ums andere flattert um den Mast, wenn die Bugseen überkommen, der Steven tief zu Tal fährt, um gischtnaß hochzutauchen über die nächste Woge weg. Gegen Wind und Dünung an. Hei! - Hei! Wir wenden und gehen zurück. Durch das Gatt wo sonst der Helgoländer Dampfer den Weg nimmt. Vor dem Wind jetzt und vor der Dünung. Wie wird es da auf einmal warm! Und läßt sich mühelos plaudern und träumen auf der Back längs gestreckt. Mundharmonikatöne vom Mast her und Mädelstimmen mitten ein. Zwischendurch rauscht leise die See um den Bug.
-- Früh aus den Federn. - Jeder der sonnigen Tage hat sein eigenes Gesetz. Durch Ebbe und Flut gestaltet. Träumen und Spielen, Entspannung in Fülle, Burgenbauen, Wettbewerb und Gymnastikstunden dazwischen. Alles hat seine Zeit. Nachbarn finden sich. Kinderfreundschaften keimen. Vielleicht auch ein bißchen Liebe bei den Großen. Die Buntfreude flatternder Wimpel und Fahnen steht unentwegt über dem festlichen Strand. Alle Spiele werden versucht. Geschick und Leistung gesteigert. Wer hier nicht alles wieder jung wird! Bester Spannungsbeweis ist aller Entspannung.
-- Flaute. Die See scheint so müde, daß es aussieht, als müssten sich die langgestreckten Wellen am Strand und auf den Bänken erst besinnen, ob sie sich überhaupt umlegen sollen oder nicht.
Auch der zaudernde Freund meldrt heute seine Ankunft an. Mit allem Zubehör.
-- Noch ist es diesig, aber wir fahren mit dem Motorkutter zu kleinem Schleppfang. Auch die Jüngsten diesmal mit. Die Augen bei der tribbelnden, glitschigen Beute. Seesterne, Wellhörner mit großen und kleinen Einsiedlerkrebsen, flache Schollen und Butte, eine ganze Menge. Miesmuscheln mit und ohne Seepocken, Schwimmkrabben, Taschenkrebse, Garneelen, Seeigel, Skorpione und Steinoicker. Wieder eine neue Welt. Nicht nur für Kinderaugen.
Um die Landungsbrücke, wo wir bis zur fälligen Pferdebahn für den Bensersieler Dampfer warten, ein still beobachtbares Leben im Wattwasser. Da müssen wir noch einmal hin, mit viel Zeit für all die einzelnen Entdeckungen, die noch zu machen sind. Zwischen den Ringelhäuschen des Pierwurms stelzt wippend das Düttchen und äugt nach Beute. Auch uns knurrt der Magen. Morgen vielleicht oder übermorgen. Der Inselsommer ist noch nicht zu Ende.
Einer von vielen. Diesmal hatten wir nur die Großen mit. Das kleine Gezappel tummelte sich am Strand, wartete auf die nachmittagliche Sportstunde und freute sich schon auf seine rote Grütze daheim. Wir wußten sie wohl betreut.
<Ich hätte ja nie gedacht, daß es hier solche grünen Flächen gibt!> - Sagen Sie ruhig Wiesen, Frau Sigrid. Da hinten sind sie ja noch regelrecht am Heuladen. man sah deutlich in der ferne das muntere Arbeiten an den fast voll beladenen Wagen. Vor uns, die wir über den alten Deich gestiegen waren und noch in seinen Schatten getaucht gingen, lag das Meedland, eben jüngst wieder einmal gemäht, in leuchtendem frischen grün. Scharf schnitt die Linie des neuen Deiches die Sicht nach Süden ab. Kühe zogen diesseits vor ihm her dorfein.
Nun gehen auch wir im Leuchten. Die Jugend schon voraus. Der Freund noch zurück, in Untersuchung des Wassergrabens vertieft, der unter dem alten Deich herläuft. Umgoldet steht der Schattenriß der alten Inselhäuser, die ihn überhöhen. der ganze Westen flammt schon, obwohl die Sonne noch hoch steht.
Sie sehen beinah eins wie andere aus! - Das hat auch seinen Grund. Heimatstille hat in Friesland immer auch in der Bauweise sich zäh erhalten. Die Inselriesen obendrein bevorzugten immer ihre besondere Art zu bauen. Zumal als noch die Fluten drohten. Man baute von innen nach außen. - Wieso? - Zuerst wurden vier große Balken als Grundpfeiler tief in den Boden gerammt, darauf eine flache Decke gelegt, rings über die Pfosten hinausragend, über dieser Decke der Giebel errichtet. Dann erst führte man die Außenmauern vom Boden bis unter die Decke auf. Sie stürtzten ja zuerst, wenn die See kam. Menschen und Hausrat konnten ja nach oben gebracht werden. Stieg die Flut noch weiter, so lösten sich wohl Decke und Giebel, aber sie kamen als festes holzgefügtes Floß ind Treiben. Wenn's gut ging setzte dies dann irgendwo nicht allzuweit wieder auf - eine Arche im kleinen!
Hallo! Champions! - tönt's über die Wiesen. In eifrigen Suchen ausgeschwärmt, haben wir sie bald überquert, kreuzen den großen Meiereiweg und klettern bei der <Erholung> auf schmalen Pfad eins hinter dem anderen auf die Herrenhusdünen zu.
Die Sonne geht doch langsam zur Küste. Selbst die kleinen Wölkchen, die wie Watteflöckchen im ostwärts stählernen Blau hängen, kommen schon ins abendliche Glühen. Fast kein Lüftchen geht heute zwischen den Dünenhängen. Der Justitiaweg, in den wir schon seit einiger Weile eingebogen sind, läuft ins schattendunkele Golftal hinunter. Die abendlichen Farben nehmen auch das letzte einzelne hinweg und geben dem Tal zwischen seinen Randgebirgen eine unwirkliche Tiefe. Noch stehen die Kuppen im warmen Licht. Weit aus dem Osten mitten durch die Talschlucht her grüßt im Abendschein die Melkhörndüne mit dem hohen Kreuz. Es ist, als ob alle Farben noch an Leuchtkraft zunähmen. Selbst die Möwen, die den blauen Himmel schneiden, spielen den Sonnenuntergang auf ihrem Gefieder. Zu Füßen schreckt hier und dort ein Hase auf und entgleitet im Dämmern wie ein kleiner Spuk.
Wir ziehen talauf,kreuzen den Albersweg und schreiten durch dämmernde Hänge, in den tausende Pirolas schlafen, in den Westen auf das Leuchten zu. Wie kommen eigentlich solche Namen auf die Insel? Du sagtest doch vorhin Justitiaweg!?
-- Darin spiegelt sich Inselerleben: Wege heißen oft nach dem gestrandeten Schiff, zu dem hin das Rettungsboot auf dieser Spur die Dünen überwand und den freien Strand gewann. Da, wo wir vorhin gingen, schnoben die Gespanne an einem Sturmtag im November 1919 mit dem schweren Boot durch den Sand und Sturm und klirrenden Frost. Draußen zwischen den Sänden saß ein Finkenwerder Fischerewer fest. Drei Mann auf der Plate umherirrend, hatte der Postbote gemeldet. Ehe die Flut kam, mußte Hilfe werden. Die Rettung gelang, aber die Justitia versackte draußen. Jahre später nach tollem Auguststurm, der mancher anderen Insel die Nase kostete, saß die Justitia, von der seither nur der Achtersteven noch zu sehen gewesen war, fast oben auf den Dünen an Land. Vom Sturm aus den Sand geschlagen und strandein geworfen. Später hat man sie dann abgewrackt.
Endlich ist das Ostende des Höhenwegs erreicht. Wir stehen mitten im Zauberlicht des Sonnenunterganges. Leise atmet die See. Einen schimmernden Läufer breitet die Sonne aus dem tiefen Westen herüber. Strandnahe wiegen sich die beiden Sagelkutter in seinem flammenden Gold. Nicht lange mehr, dann sackt der Sonnenball unter die leicht verhangene Kimm. Selbst hier oben ist kaum mehr Wind zu spüren. Ganz leis steht er von Land ab. Es ist warm geblieben. Leicht schreitet sich's auf den festen Klinkern des Höhenweges.
Die Flut ist gekommen. - Es kommt heute noch mehr! - Wie meinen Sie das? fragt Frau Sigrid. Es wird Meerleuchten sein, wenn es ganz dunkel ist. - Woher wissen Sie das? - Mach Wetter und Wärme, man hat's so im Gefühl... Wir werden ja sehen. Wie wäre es wenn unsere Töchtings ins Dorf voraustrabten und die Lütten holten? Wird denen ein Hauptspaß sein, wo sie doch bei Dunkelwerden in die Klappe müssen. - Aber nicht verraten, warum! Die Töchtings sind schon in Fahrt und nehmen über den Hospizplatz den nächsten Weg ins Dorf. - Also treffpunkt in einer Stunde auf der Punschdüne. Eßt auch gleich was zu Haus!
Na, und wir? fragt der Freund mit einigem Stirnrunzeln. Bleiben hier draußen, schlage ich vor, und essen hier einen lütten Happen. Dort voraus in der, <Giftbude>. - Hm, knurrt er, tscha, sagt sie. - Ach so, Ihr vermutet wohl immer noch in der <Givtbude> so was wie eine Vergiftungsanstalt mit ungezählten Schnäpsen. Die inselechte Benamsung zeigt doch nur an, daß es, dor wat givt. Hoffen wir also, daß es dort auch für uns'n beten to eten givt.
Nachher tun wir uns dann mit der nichtsahnenden kleinen Sippschaft in einer meerwärts schauenden Mulde nieder. Daß ich sie herausholen ließ an den Strand, im Dunkeln, trägt mir große Ehre ein. Ich soll erzählen. Ist ja auch noch ein bißchen früh. Mich oft durch viele Querfragen durchwindend, wie das so geht mit dieser Bande ... erzähl ich also: wie da drunten vor uns früher ein gestrandeter Zweimaster, <Aurora>, lag, fein sauber mit der Breitseite zum Meer, hoch auf den Strand gesetzt: Und dann fünf Jahre lang zur ersten <Givtbude> geworden. In den ganzen Laderaum war ein Holzboden gelegt, Küche und Theke abgekleidet. Stühle hineingeschafft. Was es dort gab? Zu trinken und zu essen. Als Besonderheit: Kartoffelpfannkuchen. Und an solchen Abenden wie heut: Lampions drinnen wie außenbords.
Und ich erzähle ... Einige Snaks aus den fettarmen Kriegsjahren: wie die Kartoffelpfannkuchen schmeckten, die man versuchte zu backen, als endlich mal wieder Dosen mit Fettigkeit als Strandgut antrieben - und sich nach folgenschwerem Genuß als Vaseline entpuppten. - Da sind sie wohl alle nach Helgoland gefahren ... , vermutet einer aus dem Dunkeln, aber treffend.
Und ich erzähle: von dem Mokka, den ganz Schlaue aus gemahlenem Kaffee zu brauen versuchten, der sich dann nachher als Schnupftabak erwies. Und vom Buttersegen, der wirklich Butter und wirklich Segen war. Und wie der Gemeindevorsteher vom Norderriff her mit seiner Last keuchend in der großen Slopp ausruhte und von der weichgewordenen Butter auf seinem Rücken zum trcknen Brot schon mal Finger um Finger durch ein Loch im Rucksack herauspulte. Er hat mir selber noch mehr verraten, aber das sage ich nicht weiter.
Doch vom <groten Fisch> läßt's sich berichten, dem Entenwal den der Postbote Bäckmann 1902 am Strande entdeckte; wie den sechs Pferde nicht - natürlich nicht! - von der Stelle brachten, so daß man ihn tapfer am Strande schlachten mußte: Schwanz ab, bis sein Blut in einer großen Lache um ihn stand. Wie einer von den kecken Jungens, die sich hinaufheben ließen und das tote Ungeheuer von dreiundzwanzig Schritt Länge und entsprechendem Umfang, ins Glitschen geriet, unfreiwillig Siegfried spielte und in Walfischblut zu baden kam. Wie man mit langen Messern dem Ungeheuer den Speck abschälte und das Fleisch verteilte, das nach bejahrten Kühen geschmeckt haben soll.
Es blitzt! kräht Klaus dazwischen. Unsinn, bemerkt sein Vater, bei dem Wetter! - Doch, dahinten den Dünen längs, über dem Meer!
Er wird schon recht haben. Das Helgoländer Blitzfeuer! Jetzt sehen sie's alle. Immer in bestimmten Pausen ein Aufzucken hinter der Kimm. Und dort steht noch ein Licht auf See. Gerad voraus. - Ist das Norderneyer-Feuerschiff draußen..
Wie dunkel es doch schon ist! Von Westen her zeigt Norderney sein helles Licht. Scharfe Augen erkennen in der ferne noch eins, das sich bewegt. Ein Segler oder Dampfer. Man hört schon leise wieder die steigende Flut. Na, was habt ihr denn? - Der Klaus behauptet, daß es auch am Strand blitzt, in den Wellen.. - Ganz bestimmt, versichert Klaus, der wache Augen hat. Diesmal schweigt sein Vater. - Los. Klaus. Denn mal hinunter. Wir kommen alle mit.
Und da ist auf einmal wirklich das Wunder.
Schon als Klein-Almut in der Dunkelheit in eine Rinne patscht, die sich schon gefüllt hat, jauchzt sie auf: Das Wasser hat Funken. Wo sie hintritt, sprühen Sternchen. Jetzt rast die Meute aber los. Jeder will der erste sein.
Meerleuchten! Fahl noch. Aber in jeder sich brechenden Welle stärker. Die Kinder sind außer sich vor Freude und Staunen. Rufe schallen durch das Dunkel. Der Strand wird lebendig. Eine Völkerwanderung setzt ein. Jede Welle scheint ja auch schöner zu leuchten. Geheimnisvoll. Und still. Dieses strahlende Grün aus der Tiefe. Strandlang ziehend und wieder zum Höhenweg zurücksteigend, sehen wir's nun auch draußen an den Sänden aufstrahlen, wo die Flut sich schon stärker bricht. Wie ein leuchtender Perlenkranz schlingt sich das Wunder um die Küste in dieser märchenhaften Sommernacht.
Von Land her flammt ein rotes Leuchtfeuer auf. Das Fluglicht der Insel. Also will noch einer so spät nach Langeoog Da ist er schon. Im Bogen nimmt er den Weg, den wir kamen. Jetzt braust er mit grünen und roten Positionslichter auf uns zu. Hell strahlt sein Sternlicht. Heller in der Nähe als alle fernen Gestirne. Jetzt sinkt er im Gleitflug.
Ich kann imeer nicht behalten welche Lichter rechts und links sind, beteuert Klaus. - Dann merk dir man zuerst, daß es nicht links und rechts, sonder backbord und steuerbord heißt. - Ja, aber die Lichtfarben... Und ein jugendlicher Fachmann belehrt aus dem Dunkeln:
An Backbord is dat rote Licht, an Stuerbord is dat greun, und wer's nicht weiß, dem soll man gleich das Achtergatt verbläum!
So, und wenn du's morgen nicht mehr weißt, geschieht das auch!
Immer wieder drängt sich ein Tag durch alles Erinnern an den ersten Inselsommer hundurch. der eine Tag im Ostland! Wir fuhren ganz außen um Osterhoek herum. Schon die Gestalt der Karte verlockt gerade dazu. Aber nicht dort erst brach der Zauber desOstlandes auf. Auch nicht in der Sonnenrüste überm Watt, die uns mit eitel Gold überschüttete, daß Himmel, Land und Wasser ein einzig flammend Leuchten wurden. Auch nicht erst in der bleiernen Nacht, die von Nordosten her uns überholte bei der dämmrigen Heimfahrt am Strand. - - Wo sich aber aus den östlichen Binnendünen, wie aus erstarrten Wellengewoge, eine ganz schroff aufteilt wie ein grünes Kliff, dort war es, daß Weite und Lieblichkeit, Einsamkeit und Größe der Landschaft die unbändige Sehnsucht gebaren: Hier müßtest du einmal sein können für ganze Tage und Nächte, hier ganz nahe den Pulsschlag der stillen Majestät urtümlichens Lebens. Auch diesmal wird das wohl kaum werden. Aber hin müssen wir wieder.
- - Heut ließ sich die Sonne lange vor dem Untergehen schon von diesigem Dunst verschlucken. Es riecht nach Nebel. Aber der alte Abke sagt ihn höchstens für die erste Frühe an, danach bestimmt gut Wetter. Ob wirs morgen wagen? - Seine Erinnerung hilft mir manches Geschehnis entdecken aus dem Logbuch der Insel. Lief er doch schon als er noch Junge war, täglich den Strand ab nach angetriebenen Gut, zumal dem so begehrten Holz. Gestern erst erzählte er mir, daß auf den Inseln und an der Küste bei Mensch und Vieh die Geburten immer in die Flutzeit fallen. Heute brachte er einen vergilbten Zettel, auch Strandgut, der ein Schicksal birgt. Wieder einer mehr in meiner Mappe, aus der einmal ein Büchlein werden wird von Menschenschicksal und Schiffsgeschick rund um die Insel.
-- Abke hat recht behalten. Hinter uns liegt der lange Reigen leuchtender Stunden eines goldenen Spätsonntags.
Über dem Watt hingen noch Frühnebel, als wir loszogen. Die Sonne begnügte sich damit, die höheren lichten Wolken in rotes Glühen zu tauchen. Lautlos stand die Flut über dem ganzen wieten Heller. Südlich des Flugplatzes füllte sich noch die Wagenspuren und zwang bald zum willkommenen Waten. Welch eigenartiges, fast urzeitliches Bild. Nichts als Luft und Wasser gleicher Farbe, ungeschieden ineinanderfließend. Nur des Quellers starre, kleine Äste, schachtelhalmartig, wie kleine Tannenspitzen, leuchten grün in lichten Blau. Zu Abertausenden. Das einzige Leben in allen Farben der duftigen Frühe. Lautlos streichend nur hier und da ein Vogel, ein Paar.
Kaum einen Steinwurf weit voraus verschwamm auch des Quellers Grün mit dem Duft des Morgens. Zu Füßen verdoppelte sich seine tausendfache Gestalt, jedes einzelnen Pflänzlein sich keck widerspiegelnd im stillen Wasser. -- Noch mußten wir einen Bogen landeinwärts schlagen, um an der richtigen Stelle die Schlote zu überqueren, durch die vom Watt her die Flut ihre Wasser tief landein schickt und die Ebbe sie wieder hinaussaugt. Hoch und scharf sind ihre Kanten in den Boden gerissen. Noch waren viele kleine Lachen zu umgehen, die sich wie blaue Augen öffneten, bei jedem Schritt verändert spiegelnd, mitten im saftigen Dunkelgrün der Außenweide. Binsen träumten an ihrem Rand. Vereinzelte Büsche verblühender Strandnelken. Über ganze Flächen wob der Strandwermut das Filigran feines Silberlaubs - die ganze Sippschaft der Eigenständigen, denen eine mehrstündige tägliche Überflutung mit Seewasser gut bekommt. Hasen hockten bei erster Äsung, verhofften kurz und hoppelten weiter. Seeschwchwalben schossen vorbei. Strandläufer klagten vom Watt her. Und dann brach die Sonne durch. Machtvoll. In sieghafter Schönheit.
Schwarzbunte Herden behäbiger Kühe trotteten gemächlichden Meiereiweg längs zur Weide. Auf der Dreebargensspur die Vogelkolonie durchquerend , erreichten wir das unendliche Tal. Windungen um Windungen offenbarte immer neue verschwiegene Schönheit. Kriechweide buschte in den Hängen. Letzte Weidenröschen flammten. Nachtkerzen keuchteten. Blühende Heide läutete muldenentlang. Weithin prahlte der Sanddorn mit lastreichen Ständen orangener Beeren... Wir nahmen uns Zeit... Und so muß es sein. Mittag ist längs vorbei. Diesmal pirschen wir uns im Bogen ums Ostende, an der Rettungsstation vorbei, zum grünen Kliff hinauf.
Blinkend wie Stahl liegt der Wattspiegel; schon wieder breit bei steigender Flut. - Zu Füßen aber westwärts bis zum Steilhang des Kliffs herangleitend ein unendliches Gewoge kleiner Mulden, verschwiegener Tälchen, kleiner Pappelwäldchen und Birkengruppen zwischen den unregelmäßig ziehenden Kleingebirgsgraten - ein grünes Zauberreich. Jede Kuppe umspielt von goldnem Licht. Die Pappelblätter flirren leise im Wind. Saftiges Gras in den Mulden wiegt sich still und badet in Sonne. Nirgends ein Mensch.
Über das breitere Osttal herüberleuchtend der Randdünen getürmte Kraft mit duftig schattenden Osthängen, ein scharf geschnittener Gebirgskamm. Dahinter klar und blau die unendliche Kimmung der See. Spiekeroog grüßt von Osten herüber. Die Weiten klingen, und der Sonnenschein singt. Möwenschrei schießt unter weißen Schwingen durchs Blau. Anstecken fast flattern die Rufe der Lachmöwen zu Tal. Nur wenige Schritte von uns seitab leuchtet ein Fleck Immortellen.
Ja, wer hier zelten könnte, der würde wissen um Stunden der Frühe vor Tau und Tag, um Stunden des Sturmes, ganz allein auf umpeitschter Düne vor dem gischtenden Heeren der Brandung am Riff; - um Stunden draußen auf den schwarzen Muschelbänken im Watt zwischen tausend dunklen und schneeigen Seevögeln über den beutebergenden Lachen und Prielen; um Stunden des Träumens zwischen hohen Dünengras ins unendliche Blau. - Der würde wissen vom Abenddämmern in den stillen Tälchen mit der buschenden Lebendigkeit in diesem Paradies der Hafen. - Von Mittagsrast zwischen satten Kühen und um Beute kämpfenden Silbermöwen. Von mondlichtdurchsponnener Nacht unterm blinkenden Sternendom. Von Fahrtgeschrei der ersten südwärts strebenden Zugvogelketten aus unendlicher stählerner Nachthöhe her... Und im Reigen der Tage und Nächte vom leuchtenden Zauber tiefer, entspannender, erdnaher Einsamkeit. - - -
Im Spätsommerschein hielten wir auf den Randdünen letzte Rast, windgeschützt, mit Gischt aufs Norderriff. Helmschatten spielten über dem leuchtenden Sand. Draußen, jenseits des weiten Strandes, ritten die weißen Rosse der Flut an und stiegen hochauf über den Bänken. Deutlich erkennbar am stiebenden Gischt, wo die zwei Wrackteile vom Dampfer <Horn> liegen, auch die Stelle, wo der <Ozean King> im Riffgrund wuchtet weiter draußen. Auch ihre Geschichte kommt in das neue Buch mit mancher andern, die sich da draußen erfüllte. Auf treibender Scholle. Oder durch tapferen Einsatz waghalsiger Rettungsfahrt, wenn die Langeooger Mannschaft den Notruf hörte: <Schiff im Riff>!
--Die Tage Gleiten. Ein einziges Spätsommerleuchten ... Wir sind alle braun wie Mohikaner. Jeder neue Tag steigert Spannkraft und Gesundung.
--Nächtlicher Springflutalarm! Die Strandkörbe sind zu bergen. Schon mittags kam die Flut viel höher als sonst. Dumpf orgelt die Brandung durch die Nacht. Die Dächer sind laut. Sturm stemmt sich in Ziegel und Rinnen. Zehrt an den Drähten. Klatscht mit den Flaggenmasten vor den Häusern. Die Nacht bleibt wild.
Im jungen Tag holt das Meer neuen Atem für die nächste Flut. Der Sturm braucht es nicht. Steigert sich von Stunde zu Stunde.
-- Den Höhenweg muß man sich erkämpfen. Bei jedem Schritt spürt man, daß auch das Stehen eine Kunst sein kann, die man können muß. Hoch liegen die Strandkörbe auf dem Seehang der Dünen. Über die Burgen hinweg tobt gegen ihren Fuß die Sturmflut. Das Meer, das unendliche große ...-... Musik in diesem Donnern der Branden, Wogen und Gischten. Musik, Urgewalt, Schöpfergröße ... Sturm, Sturm ... über brausender Brandung! -
-- Es ist, als ob nach dieser Sturmflut alles Leben am Strand ganz plötzlich in neuen Rhythmus hinüberschwingt. Steigerte Lebendigkeit schwillt auf wie eine Woge. Die Dünung steht noch immer mächtig strandein. Wir kosten sie badend bis zur Neige.
Neige das ist ein gefürchtetes Wort. Jugend und Alter packt die verbleibenden Tage mit beiden Händen und wachen Sinnen....
dies ist mein erster Beitrag, und noch etwas ungeübt hoffe ich, dass ich ihn an der richtigen Stelle im richtigen Format platziere. Denn tatsächlich ist mein Beitrag "bloß" eine Frage. Auch ich kenne das Buch von Wilhelm Schreiner, und habe es sogar im letzten Langeoognews-Jahresmagazin für einen Beitrag über das Flinthörn verwendet. Bemerkenswert finde ich, dass in der Umschlag-Karte das Pirolatal wohl verzeichnet ist, jedoch als "Golf-Tal" bezeichnet wird. Weiß jemand, ab wann der Name "Pirolatal" sich durchgesetzt hat, und warum Schreiner es "Golftal" nennt? Sollte dort tatsächlich Golf gespielt worden sein??? ... würde jetzt gerne noch einen verwirrt aussehenden Smiley anhängen, aber ich finde keinen. Also mach ich das verbal: "verwirrt-aussehender-Smiley" ... es grüßt Meent Eden
Das Pirolatal hiess immer so. Pirola ist eine Pflanze die viel Wasser braucht deshalb Pirolatal wegen der Süsswasserlinse. Die Pflanze steht unter Naturschutz und darf nicht gepflückt werden.
In Schreiners selbstgemalter Karte sieht das jedenfalls so aus ... siehe Anhang ... kann ja sein, dass Schreiner sich das ausgedacht hat, weil er es nicht besser wussste, oder das Tal noch immer nicht (wie noch 1913, gar keinen Namen hatte ... was schreibt Bielefeld denn 1927? ... Er erwähnt es auch nicht, oder? ... einen schönen Abend noch wünscht Eden