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Dieses Thema hat 7 Antworten
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Trödel
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20.07.2010 21:45
Weltnaturerbe – haben wir das verdient? Thread geschlossen

Langeoog und das UNESCO-Welterbe Wattenmeer

(Folge 1) –Der Aufbruch: Chancen für Natur und Tourismus



Seit dem vorigen Sommer zählt das Wattenmeer zum UNESCO-Weltnaturerbe. Insgesamt fast 10.000 Quadratkilometer groß, umfasst das Gebiet die Flächen der Wattenmeer-Nationalparks in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie eines Schutzgebiets in den Niederlanden. Und mittendrin liegt Langeoog. Was bedeutet das Weltnaturerbe für die Insel, für die Küste, für uns alle? Fragen, denen Uwe Garrels im „Utkieker“ nachgeht. Der Archivar der Inselgemeinde und ausgewiesene Naturkenner ist vielen Gästen durch seine kurzweiligen Wattwanderungen, Ortsführungen und Vorträge bekannt. In loser Folge schildert er an dieser Stelle, was es mit dem Weltnaturerbe auf sich hat und wie es unser Leben bereichern kann.

Am 26. Juni 2009 wurde das Wattenmeer von der UNESCO zur 176. Weltnaturerbestätte dieser Erde erklärt – eine tolle Anerkennung für dieses Gebiet. Wer sich mit dem Thema etwas mehr beschäftigt hatte, der wusste schon, dass es sich beim europäischen Wattenmeer um das weltweit größte zusammenhängende Wattengebiet der Erde handelt. Und dass es in seiner Art als Watten-Inselsystem weltweit einzigartig ist. Die UNESCO-Auszeichnung gibt es jedoch nur für Gebiete, die eine überragende Qualität aufweisen. Einzigartigkeit, Authentizität und Integrität sind die Stichworte. Alle wesentlichen Elemente, die ein Wattengebiet ausmachen, müssen vorhanden sein. Der Schutz muss von der örtlichen Bevölkerung unterstützt werden. Der Erhalt und Schutz muss auf Zukunft durch Erhaltungs- und Schutzpläne gesichert werden.


Quelle: de-utkieker

Trödel
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21.07.2010 01:11
#2 RE: Weltnaturerbe – haben wir das verdient? Thread geschlossen

(Folge 2)
Langeoog und das UNESCO-Welterbe Wattenmeer
Weltnaturerbe-Insel Langeoog: Der kleinste Schlopp im großen Schlopp


Seit Juni 2009 zählt das Wattenmeer zum UNESCO-Weltnatur­erbe. Insgesamt fast 10.000 Quadratkilometer groß, umfasst das Gebiet die Flächen der Wattenmeer-Nationalparks in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie eines Schutzgebietes in den Niederlanden. Und mittendrin liegt Langeoog. Was bedeutet das Weltnaturerbe für die Insel, für die Küste, für uns alle? Fragen, denen Uwe Garrels im „Utkieker“ nachgeht. Der Archivar der Inselgemeinde und ausgewiesene Naturkenner ist vielen Gäs­ten durch seine kurzweiligen Wattwanderungen sowie Ortsführungen und Vorträge bekannt. In loser Folge beleuchtet er an dieser Stelle die unterschiedlichen Aspekte des Titels Weltnaturerbe.

Der Titel Weltnaturerbe hat etwas Großes und Ehrfurchtgebietendes an sich. Dabei setzt sich dieser Begriff aus vielen Mo­saik­steinchen zusammen, die für sich genommen nichts anderes als den Alltag des Lebens im Wattenmeer widerspiegeln. Auch die Schlopps – das sind Dünendurchbrüche, die als Folge rasender Strömung während der Sturmfluten entstehen können – ge­hören zum Alltagsgeschehen auf den Düneninseln der ostfriesischen Küste.
Langeoog hat zwei Schlopps, den großen und den kleinen Schlopp. Beide sind während des 18. Jahrhunderts entstanden. Wahrscheinlich war es nicht allein die Weihnachtsflut 1717, die den großen Schlopp hervorrief. In diesem Bereich der Insel muss es vor circa 300 Jahren eine länger anhaltende Unterversorgung mit Sand gegeben haben. Dadurch war die Dünenkette an dieser Stelle so geschwächt, dass sie während der gewaltigen Sturmflut am 25. Dezember 1717 durchbrach. Das Wasser kannte kein Halten mehr – der durch die enorm hohen Wasserstände durchweichte Sand begann einfach wegzufließen. Findet das Wasser erst einen Eingang in eine Düne und fällt das Gelände dahinter ab, dann wird die Strömung unglaublich schnell. Sofort bilden sich tiefe Rinnen mit noch tieferen Ausspülungen, den Kolken, und der mitgerissene Sand überflutet die dahinter gelegenen Flächen.

Die Sturmflut vernichtete . . .
auf Langeoog die Hellerweiden der Insulaner, die einzig fruchtbaren Flächen auf der damals besonders kargen Insel. Die Überwaschung mit den riesigen Sandmengen der weggespülten Dünen machte die Bewirtschaftung der Hellerweiden unmöglich. Zudem trieb der Wind große Mengen Sand


Quelle: de-utkieker

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21.07.2010 18:30
#3 RE: Weltnaturerbe – haben wir das verdient? Thread geschlossen

(Folge 3)
Langeoog und das UNESCO-Welterbe Wattenmeer
Der Faktor Zeit in der Natur – eine unvorstellbare Dimension

Seit Juni 2009 zählt das Wattenmeer zum UNESCO-Weltnaturerbe. Insgesamt fast 10.000 Quadratkilometer groß, umfasst das Gebiet die Flächen der Wattenmeer-Nationalparks in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie eines Schutzgebiets in den Niederlanden. Und mittendrin liegt Langeoog. Was bedeutet das Weltnaturerbe für die Insel, für die Küste, für uns alle? Fragen, denen Uwe Garrels im „Utkieker“ nachgeht. Der Archivar der Inselgemeinde und ausgewiesene Naturkenner ist vielen Gästen durch seine kurzweiligen Wattwanderungen, Ortsführungen und Vorträge bekannt. In loser Folge beleuchtet er an dieser Stelle die unterschiedlichen Aspekte des Titels Weltnaturerbe.

Das Wattenmeer als UNESCO-Weltnaturerbe feiert am 26. Juni seinen ersten Geburtstag. Ein Grund zum Feiern. Doch – wie tickt eigentlich die Zeit im Wattenmeer? Wenn ein Mensch seinen ersten Geburtstag feiert, weiß er später nichts mehr davon. Die frühesten Erinnerungen über das eigene Leben setzen erst mit etwa drei Jahren ein. Mit zehn Jahren erscheint ein Jahr lang und man will unbedingt bald groß werden. Mit zwanzig Jahren will man unbedingt etwas von der Welt erleben, mit dreißig wollen einige unbedingt schon tot sein, damit sie nicht alt werden müssen. Mit fünfzig stellt der Mensch fest, dass die Zeit immer schneller zu vergehen scheint und er glaubt, allmählich einen Überblick über das eigene Leben und das der Erfolgreicheren zu haben. Wenn ein Mensch mit achtzig oder gar erst mit neunzig Jahren stirbt, sagt man, er hatte sein Alter.

Atemberaubende Veränderungsprozesse
Naturräume ticken anders. Die Entstehungsgeschichte des heutigen Wattenmeeres (es gab vor der letzten Eiszeit schon eines in diesem Raum) setzte vor ca. 10.000 Jahren ein, als in Nordmitteleuropa die sogenannte Weichsel-Eiszeit zu Ende ging. Die Gletscher schmolzen, die Nordsee füllte sich mit ungeheuren Mengen von Schmelzwasser und der Meeresspiegel stieg rasant an. Die Landbrücke zwischen dem heutigen Großbritannien und Frankreich versank. In unserem Raum bildeten sich große Moore, in denen das Schmelzwasser sich vor dem ansteigenden Meer staute. Schließlich wurden diese Moore selbst überflutet und von gewaltigen Sandmassen überdeckt, die die Strömung herantransportierte. Diese Sandmassen bildeten einen Wellenbrecher, die entscheidende Barriere, in deren Schutz sich die ausgedehnten Wattflächen ablagern konnten. Das Baumaterial dafür trugen die Gezeitenströme heran. Auch der Tidenhub von 2,70 Meter für das Gebiet rund um Langeoog hat sich dabei erst im Laufe dieses Geschehens ausgeprägt.

Was wir als Betrachter also für gegeben halten, ist Teil eines ungeheuren Veränderungsprozesses, der in Bezug auf die Entwicklung von Landschaften geradezu mit atemberaubender Geschwindigkeit abläuft. Das Wattenmeer ist auch deshalb Weltnaturerbe geworden, weil hier Landschaft und Ökosysteme in Entwicklung zu beobachten sind und weil diese Veränderungsgeschwindigkeit, die Dynamik, Charaktereigenschaft des Gebietes ist. Wäre das Watt ein sich langsam entwickelnder Landschaftsraum, gäbe es hier völlig andere Pflanzen- und Tiergemeinschaften. Strandhafer, Wattwurm und Herzmuschel wären nicht die dominierenden Arten. Die Landschaft wäre seit Jahrhunderten be- und verbaut – und Langeoog vielleicht kein Urlaubsort.

Anders getaktet

Menschlichem Denken und Fühlen erschließt sich das „Tempo“ von Naturräumen nicht. Wir sind anders getaktet. Maximal auf Zeiträume von 25 Jahren, die eine Generation ausmachen, eigentlich aber mehr auf die Zeitdauer eines Jahres. Dabei wird unser Alltag oft genug vom Geschehen des Tages überrollt. So sind wir entwicklungsgeschichtlich auch nicht auf die Erhaltung von Welterbe-Stätten gepolt. Wir denken an unser persönliches Wohl, an das unserer Familie und an unsere „Horde“, die örtliche Interessengemeinschaft. Der Staat ist emotional eher schon ein „Gegner“. Globales Denken im Sinne von: etwas für „die Welt“ zu bewahren, ist uns fremd; globale Emotion erst recht.

In Bezug auf Nachhaltigkeit und die Bewahrung von Lebensräumen ist unsere „artgerechte“ Kleingruppenbezogenheit eine unpraktische Eigenschaft. Der Homo sapiens ist eben „erst“ seit etwa 130.000 Jahren auf der Erde unterwegs. Und da er vergleichsweise alt wird und sich nicht so massenhaft fortpflanzen kann wie Muscheln und Schnecken (von denen noch die Rede sein wird), ist seine genetische Anpassungsfähigkeit eher gering. In unseren Gefühlen, Instinkten und Körperfunktionen sind wir noch recht nahe an den Lebensbedingungen der ersten Menschen. Das Entwicklungstempo unserer technischen Fähigkeiten überfordert diese „genetische Langsamkeit“ doch erheblich. Und zwar nicht nur die menschliche, sondern auch die von allen Pflanzen- und Tierarten, die sich langsam entwickeln. Sie brauchen daher den bewussten Schutz des Staates oder gar der Vereinten Nationen vor dem wirtschaftlichen Zugriff, um ihren Untergang zu verhindern, denn natürliche Anpassung an unsere Welt können sie nicht schaffen.

Tierischer Re-Import
Alle Lebensformen, die das Wattenmeer besiedeln, sind weitaus älter als dieser Lebensraum. Als die letzte Eiszeit vor etwas mehr als 100.000 Jahren einsetzte, mussten sich die wärmeliebenden Tier- und Pflanzenarten nach Süden zurückziehen. Da flaches Wasser sich rasch abkühlt, gab es keine andere Wahl. Die Sandklaffmuschel ist hier damals ausgestorben, weil sie den Weg nach Süden nicht schaffte. An der nordamerikanischen Atlantikküste überlebte sie. Die Wikinger haben sie vor gut tausend Jahren von ihren Amerikafahrten wieder mitgebracht, indem sie die Muscheln als Lebendnahrung an ihren Booten mitführten. In den wieder erwärmten Flachwasserzonen Europas konnte sie sich neu ansiedeln.
Die Entwicklungsgeschichte von Muscheln und Schnecken (=Weichtiere) beispielsweise begann bereits vor etwa 500 Millionen Jahren im Erdzeitalter des Ordovizium. Dass sie bis heute existieren, zeigt ihre große Fähigkeit, wechselnde Umweltbedingungen durch Anpassung zu überleben. Da Muscheln sich jährlich und oft mehrmals fortpflanzen und sehr hohe Nachwuchsraten haben, können sich ihre Gene rasch Veränderungen anpassen. Ihr entwicklungsgeschichtlich hohes Alter steht aber auch für die in den Meeren viel gleichmäßiger und langsamer als an Land ablaufenden Prozesse. Das Meerwasser durchmischt sich weltweit innerhalb von etwa tausend Jahren einmal vollständig. Damit sind recht stabile Verhältnisse garantiert, die allen Meeresbewohnern Zeit lassen, sich anzupassen.

Eine Zeitspanne von 500 Millionen Jahren ist so ungeheuer groß, dass wir damit eigentlich nichts anfangen können, außer zu staunen. Aber die Schönheit aller natürlichen Wesen entspringt wohl genau diesem Zeitfaktor. Alles, was sich entwickelt, wird ständig der sich ändernden Welt angepasst. Individuen mit ungeeigneten Eigenschaften gehen unter, während die mit den passenderen Fähigkeiten überleben. So erlangt alles Lebende eine natürliche „Serienreife“, von der die Industrie nur träumen kann. Muscheln sind schön, weil sie genau in ihre Welt passen. Das wiederum kann jeder Mensch empfinden, denn er unterliegt denselben Anpassungsgesetzen. Wenn Mensch sich die Zeit nimmt zu empfinden.

Wie schön ist es da, dass es Urlaub gibt. Da kann sich der urlaubende Mensch an den Deich setzen, aufs Watt schauen und Zeit haben. Dann ist er auf einmal nahe bei sich und nahe an der unvorstellbaren Langsamkeit der „rasant“ ablaufenden „Wattenmeerwerdung“. Am Ende geht es ihm wie dem Autoren: Er hat die Zeit vergessen und muss nötig ins Bett. -Uwe Garrels-


"Anno dazumal"

Ein Angebot für Einheimische, für Inselfreunde und zugleich eine schöne Geschenk-Idee: der neue Pos­terkalender 2011 mit alten Ansichten aus dem heutigen Nordseeheilbad Langeoog. Der im Enno Söker-Verlag Esens erschienene Kalender mit 13 Motiven inkl. Titelseite beleuchtet die Zeit zwischen 1900 und 1930, als die Insel erste Berührungen zum Tourismus aufbaute. Die Motive, zum Teil aus Privatarchiven, zeigen Hafenszenarien, alte Gebäude und Straßenzüge der Nordseeinsel wie die Kirchstraße um 1920 oder die Dorfansicht mit dem geduckten Insulanerhaus. Impressionen wie die Kutter für Lustfahrten oder das Strandleben um 1900 lassen den Betrachter schmunzeln. Das alte Schulhaus und die Dünenpartie mit Wasserturm erinnern ebenfalls an die „gute alte Zeit“. Ein Tipp für Freunde der Inselhistorie: Die Drucke im Querformat DIN A3, mit sandfarbenem Passepartout, lassen sich später wunderbar rahmen. Der „Anno dazumal“-Kalender von Langeoog, mit Ringbuchbindung, Stückpreis 18,50 Euro, ist zu Ostern 2010 bei der Buchhandlung Krebs am Wasserturm erhältlich oder direkt beim Verlag Enno Söker in Esens, Marienkamper Straße 1, Tel. 04971/ ­91050. Bestellungen können auch im Utkieker-Shop über die Homepage www.de-utkieker.de erfolgen. Die Sendung erfolgt zzgl. Versandkosten.



Quelle: de-utkiecker

Trödel
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30.07.2010 01:55
#4 RE: Weltnaturerbe – haben wir das verdient? Thread geschlossen

Folge 4:
Langeoog und das UNESCO-Welterbe Wattenmeer
Der Tod kam am helllichten Tag – Überflutung in der Salzwiese

Seit Juni 2009 zählt das Wattenmeer zum UNESCO-Weltnaturerbe. Insgesamt fast 10.000 Quadratkilometer groß, umfasst das Gebiet die Flächen der Wattenmeer-Nationalparks in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie eines Schutzgebiets in den Niederlanden. Und mittendrin liegt Langeoog. Was bedeutet das Weltnaturerbe für die Insel, für die Küste, für uns alle? Fragen, denen Uwe Garrels im „Utkieker“ nachgeht. Der Archivar der Inselgemeinde und ausgewiesene Naturkenner ist vielen Gästen durch seine kurzweiligen Wattwanderungen, Ortsführungen und Vorträge bekannt. In loser Folge beleuchtet er an dieser Stelle die unterschiedlichen Aspekte des Titels Weltnaturerbe. Dazu gehört, dass die Natur nicht immer ihre freundliche Seite zeit.


Vier Wochen lang war das Ei ein sicherer Ort für das in ihm entstehende Leben. Drei Stück lagen im Nest, gut geschützt mitten in dichter Vegetation aus Strandmelde und Beifuß, drei Meter vor dem Rest des alten Sommerdeiches, dort, wo der Boden eine kleine Erhöhung aufwies. Das Austernfischerpaar hatte das Nest abwechselnd bebrütet und hartnäckig gegen Eindringlinge verteidigt. Besonders die Wattwanderer auf dem Sommerdeich nebenan hatten für Stress bei den Altvögeln gesorgt, aber auch die in der Umgebung brütenden Silber-, Herings- und Sturmmöwen, die als Eierräuber auf der Jagd nach Futter immer wieder über das Gebiet strichen. Es hatte wenig geregnet während der letzten vier Wochen, aber es war kühl gewesen. Unter dem wärmenden Gefieder und geschützt in der Nestmulde hatten die Küken in ihren Eiern davon nicht viel mitbekommen. Jetzt war es endlich soweit: Zwei Küken waren gestern geschlüpft, das letzte drängte heute nach draußen. Mit dem Eizahn hatte es sich bereits ein Loch in die Schale geschabt. Das Schlüpfen dauert immer mehrere Stunden, manchmal einen ganzen Tag lang; denn es ist harte Arbeit, das Ei von innen her zu sprengen. Gegen drei Uhr nachmittags war das erste Loch geschaffen, das erste Mal drang Außenluft nach innen. In diesem Moment kam die Flut.

Quelle: de-utkieker

Trödel
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12.08.2010 18:50
#5 RE: Weltnaturerbe – haben wir das verdient? Thread geschlossen

Folge 5:
Langeoog und das UNESCO-Welterbe Wattenmeer
Die Nordsee bestimmt, was im Wattenmeer geschieht

Seit Juni 2009 zählt das Wattenmeer zum UNESCO-Weltnaturerbe. Insgesamt fast 10.000 Quadratkilometer groß, umfasst das Gebiet die Flächen der Wattenmeer-Nationalparks in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie eines Schutzgebiets in den Niederlanden. Und mittendrin liegt Langeoog. Was bedeutet das Weltnaturerbe für die Insel, für die Küste, für uns alle? Fragen, denen Uwe Garrels im „Utkieker“ nachgeht. Der Archivar der Inselgemeinde und ausgewiesene Naturkenner ist vielen Gästen durch seine kurzweiligen Wattwanderungen, Ortsführungen und Vorträge bekannt. In loser Folge beleuchtet er an dieser Stelle die unterschiedlichen Aspekte des Titels Weltnaturerbe.

Das Weltnaturerbe Wattenmeer gilt als Großökosystem. Es umfasst den Küstenbereich von der Zehnmeter-Tiefenlinie über die Sandbanksysteme, die Strände, Inseldünen, Salzmarschen (Salzwiesen), die Seegaten, Wattströme und Priele bis zu den eigentlichen Watten, die bei Niedrigwasser trocken liegen. Innen grenzt das Wattenmeer an die Küste mit den großen Seedeichen. Und zur See hin geht es in die offene Nordsee über. Es handelt sich damit um ein offenes System. Das Ökosystem Wattenmeer ist ein kleiner Teilbereich der Nordsee, ganz an deren südwestlichem Rand gelegen. Vor dem Deichbau war es weit stärker als heute ein Übergangsbereich zwischen süßwassergetränktem Moor und salzwasserhaltigen Schlickzonen des Meeres.

Nordsee imponiert schon alten Römern
„In ungeheurer Weite, zweimal in dem Zeitraum je eines Tages und einer Nacht dringt das Weltmeer in großartiger Bewegung mächtig heran und begräbt unter seinen Fluten einen ewigen Streitgegenstand der Natur: Ob See oder Land, keiner vermag es mit Gewissheit zu sagen ...“ So beschrieb es der römische Schriftsteller Plinius der Ältere, der im Jahr 57 n. Chr. das Küs­tengebiet der Nordsee bereiste (zitiert aus „Langeoog – Notizen zur Inselgeschichte“ von Karl-Heinz de Wall, S. 6).


Bestimmender Faktor ist das Meer. Die Nordsee hat in den letzten 7.000 Jahren auf 350 Kilometern Breite ehemaliges Festland überflutet und dabei besonders die flache Küste der Wattenmeerzone von den Niederlanden bis Dänemark als Folge schwerster Sturmfluten dramatisch verändert. Der Dollart und der Jadebusen an den Seiten der ostfriesischen Halbinsel sind große Meereseinbrüche, die nicht wieder geschlossen werden konnten. Aber das Wattenmeer umfasst gerade einmal zwei Prozent der Nordseefläche von immerhin 575.000 Quadratkilometern. Die Nordsee selber, die Plinius noch als „Weltmeer“ bezeichnete, ist allerdings geradezu eine Pfütze im Vergleich zur Gesamtfläche der Weltmeere von 361 Millionen Quadratkilometern (= 1,6 Promille).
Da die Nordsee ein Schelfmeer ist, also zum Eurasischen Kontinent gehört, ist sie mit ihren gerade 80 Metern durchschnittlicher Tiefe im Gegensatz zu den im Mittel 4.000 Meter tiefen Ozeanen extrem flach. Über die großen Öffnungen der Nordsee zum Atlantik (Ärmelkanal und zwischen Schottland und Norwegen) ist sie jedoch Teil des weltumspannenden Strömungssystems der Weltmeere. Der Salzgehalt entspricht weitgehend dem der Ozeane mit etwa 35 Gramm Salz je Liter Wasser. Im Wattenmeer sinkt dieser Anteil wegen der Einmündung der großen Flüsse auf circa 30 Gramm Salz ab.

Nordsee: klein aber oho
Trotz seiner geringen Größe ist dieses Meer besonders produktiv. Es hat sehr lange Küstenlinien von sehr unterschiedlicher Beschaffenheit und viele Flachwasserzonen. Ein großer Teil des Wasserkörpers ist lichtdurchflutet, viele Nährstoffe führen zu einem enormen Wachstum pflanzlichen Planktons (Plankton ist alles, was im Wasser schwebend lebt). Das pflanzliche ernährt das tierische Plankton; von dem wiederum leben Kleinkrebse, Fische und auch die Quallen, die selbst zum Plankton zählen, da sie sich den Strömungen nicht entziehen können. Deshalb landen sie auch zu Hunderttausenden an den Stränden der Nordsee. Die meisten von ihnen sind harmlos. Eigentlich besitzt nur die gelbe Haarqualle viele Fäden mit Nesselzellen, die den Badenden ärgern.
Zergliederte Küstenzonen und besonders die nahrungsreichen Wattzonen sind für Jungfische ideale Aufwuchsräume. Die Strömungen transportieren zum Beispiel Millionen von planktonisch lebenden Plattfischlarven aus der zentralen Nordsee bis vor unsere Watten, die jene dann schon als winzige Plattfische aktiv schwimmend bevölkern, ehe sie sich zum Herbst wieder in die tieferen Wasserschichten zurückziehen. Der Fischreichtum der Nordsee war früher Lebensgrundlage vieler Fischerfamilien an allen Nordseeküsten. Durch die mit der Industrialisierung der Fischerei verbundenen Intensivierung und Perfektionierung der Fangmethoden wurden die Fischbestände arg dezimiert. In der Folge ist der Fischfang in Deutschland heute nur noch von sehr regionaler Bedeutung.


Quelle: de-utkieker

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06.09.2010 21:21
#6 RE: Weltnaturerbe – haben wir das verdient? Thread geschlossen

Folge 6:
Langeoog und das UNESCO-Welterbe Wattenmeer
Sand – der Stoff, aus dem die Watten sind

Seit Juni 2009 zählt das Wattenmeer zum UNESCO-Weltnaturerbe. Insgesamt fast 10.000 Quadratkilometer groß, umfasst das Gebiet die Flächen der Wattenmeer-Nationalparks in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie eines Schutzgebiets in den Niederlanden. Und mittendrin liegt Langeoog. Was bedeutet das Weltnaturerbe für die Insel, für die Küste, für uns alle? Fragen, denen Uwe Garrels im „Utkieker“ nachgeht. Der Archivar der Inselgemeinde und ausgewiesene Naturkenner ist vielen Gästen durch seine kurzweiligen Wattwanderungen, Ortsführungen und Vorträge bekannt. In loser Folge beleuchtet er an dieser Stelle die unterschiedlichen Aspekte des Titels Weltnaturerbe.

Alles im Wattenmeer ist Importware. Herantransportiert durch die kräftigen Gezeitenströmungen, die alles bestimmen. Dabei ist die Herkunft der Materialien, die die Sand- und Schlickböden bilden, sehr unterschiedlich. Sie kommen sowohl aus dem westlichen Teil der Nordsee als auch aus den Flüssen. Und dabei gilt, dass die Landschaft zwar jung ist, die Stoffe, aus denen sie besteht, aber zum Teil uralt sind. So antwortete ein Junge auf meine Frage bei einer Wattwanderung, wie wohl die Dünen entstanden seien, mit der Gegenfrage: „Hängt das mit dem Urknall zusammen?“ Wie recht er doch hatte! Nur so richtig konnte uns das auch nicht weiterhelfen. Also: Woher kommt der Sand und was ist eigentlich Sand?
Unter „Sand“ versteht man eine Korngröße zwischen 0,06 und 2 Millimetern. Kleineres Material heißt Schluff oder feiner Ton, gröberes ist Kies. Unser Strandsand besteht aus zerriebenen und zerbrochenen Gesteinen, besonders aus Quarziten und Graniten. Dabei werden die Körner im Laufe langer Zeiträume immer mehr gerundet. Sandkörner können das unvorstellbare Alter von bis zu 2 Milliarden Jahren erreichen. Also nicht mehr so weit vom Urknall entfernt ...
Andere Anteile des Sandes sind viel jünger und kurzlebiger, nämlich die Schalenreste von Muscheln und Schnecken, die für den hohen Kalkgehalt des Strandsandes sorgen. Diese Stoffe verwittern sehr rasch und schließlich werden die Reste vom Wasser weggewaschen.

„Fliegende“ Sande


Die Besonderheit der Strände des Wattenmeeres besteht in ihrer wunderbaren Feinheit und Gleichmäßigkeit, die weltweit selten ist. Dieser Sand ist bereits vor langer Zeit vorsortiert worden. Sand ist nicht „bindig“; das bedeutet, die einzelnen Körner kleben nicht aneinander. So konnten während der letzten Eiszeit, der Weichselvereisung, diese Sande durch kräftige Westwinde aus der Landschaft ausgeweht werden. Als „Flugdecksande“ lagerten sie sich vor den Gletschern und vor der damals um mindestens 50 Meter niedrigeren Nordsee ab. Der am Ende der Eiszeit wieder ansteigende Meeresspiegel führte zur Überflutung dieser alten Dünenlandschaft. Die west-ost-gerichtete Wasserströmung schließlich trug die oberste Sandschicht ab und transportierte dieses feine Material bis zu uns. Aus ihm sind die ostfriesischen Inseln aufgebaut. An einigen Stellen ist diese Schicht bis zu dreißig Meter dick, ein nahezu unerschöpflicher Sandvorrat. Noch ein weiteres Mal wird der Dünensand aussortiert: diese Sande bläst der Wind aus dem trocknenden Strand aus. Und wieder werden die feineren Körner des schon feinen Sandes ausgelesen, aufgewirbelt und hochgeweht in die Außendünen. Da die feinzerriebenen Kalkschalenanteile des Sandes besonders leicht sind, wird ein großer Anteil davon ausgelesen. Er bildet dann die kalk- und damit nährstoffreichen Außendünen. Die Innendünen werden im Laufe der Jahre durch Regen völlig entkalkt, wodurch die Böden dort allmählich versauern. Ein ganz anderer Bewuchs ist die Folge.

Weiche, feste und quietschende Sände
Wer den Strand entlangwandert, stellt erstaunt fest, dass Sand nicht gleich Sand ist. Vielmehr fühlt er sich an verschiedenen Strandabschnitten sehr unterschiedlich an. Die Strände am West- und Ostende Langeoogs sind besonders muschelreich und breit. An manchen Stellen ist der Sand ganz locker gepackt, so dass der Wanderer bei jedem Schritt tief einsinkt. Wenn die Wellen diese Abschnitte während der Flut überströmen, beginnt der Sand zu „blubbern“, weil überall Luft aus dem Boden gedrückt wird. Dicht daneben kann der Sand schon wieder ganz fest sein. Dann gibt es Abschnitte, wo die Wellen ganz viele Muscheltrümmer auf dem Sand ablagern. Wenige Meter weiter liegen keine, daneben wieder Muscheltrümmer. Und dann gibt es „quietschende“ Sände. Bei jedem Schritt entsteht ein Geräusch durch Reibung der Sandkörner aneinander. Da ist der Sand in einer bestimmten Weise durch Wind geschichtet worden und die Sandkörner


Quelle: de-utkieker

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07.10.2010 16:16
#7 RE: Weltnaturerbe – haben wir das verdient? Thread geschlossen

Folge 7:

Langeoog und das UNESCO-Welterbe Wattenmeer
Weltnaturerbe – eine Auszeichnung für den Tourismus statt für die Natur?
Kann man „Natur“ nutzen und sie gleichzeitig schützen?

Seit Juni 2009 zählt das Wattenmeer zum UNESCO-Weltnaturerbe. Insgesamt fast 10.000 Quadratkilometer groß, umfasst das Gebiet die Flächen der Wattenmeer-Nationalparks in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie eines Schutzgebiets in den Niederlanden. Und mittendrin liegt Langeoog. Was bedeutet das Weltnaturerbe für die Insel, für die Küste, für uns alle? Fragen, denen Uwe Garrels im „Utkieker“ nachgeht. Der Archivar der Inselgemeinde und ausgewiesene Naturkenner ist vielen Gästen durch seine kurzweiligen Wattwanderungen, Ortsführungen und Vorträge bekannt. In loser Folge beleuchtet er an dieser Stelle die unterschiedlichen Aspekte des Titels Weltnaturerbe.

„Der Natur geht es am besten, wenn sich kein Mensch für die Gegend interessiert. Am besten also, es gibt dort nichts zu holen, man kann nichts daraus machen und es sieht auch noch hässlich aus.“

„Der Mensch ist ein Wesen der Natur und seine Gärten stehen voller Pflanzen, die auch Naturerzeugnisse sind.“
„Wir sind hier alle für Natur und sie sollte auch jedem zugänglich sein. Früher sind wir hier überall herumgelaufen, haben Fische geangelt, in den Dünen und im Watt gespielt und es gab auch keine Probleme mit der Landschaft.“


„Der Mensch muss aus den Nationalparken heraus, damit sich die Landschaft in den Originalzustand zurückentwickeln kann.“


Vier Aussagen zur Natur, die sich teilweise widersprechen, die auch zeigen, dass das Wort „Natur“ sehr unterschiedlich verwendet wird.


Die einen jubeln, die anderen auch
Als die Ernennung des Wattenmeeres zum Weltnaturerbe im Juni 2009 ausgesprochen wurde, jubelten die Menschen rund um Jens Enemark, Leiter des trilateralen Wattenmeersekretariats. Seine fast 20 Jahre währenden Bemühungen um dieses Prädikat waren endlich erfolgreich. Das Gebiet wird als Erbe der Menschheit bezeichnet, weil es als weltweit von überragender Bedeutung, einzigartig unter den Wattengebieten der Erde, anerkannt wird. Das ist schon eine Hausnummer. Nationalparkverwaltung, Umweltminister und WWF jubelten mit.
Gleichzeitig jubelten alle Fremdenverkehrsinstitutionen an der niederländischen, niedersächsischen und der schleswig-holsteinischen Nordseeküste: „Das ist der Werbehammer für die Vermarktung dieser Region.“ Eine Sitzung der Verbände folgte der nächsten. Strategien wurden ausgearbeitet, Gutachten eingeholt, Fachleute aus Naturschutz und Tourismusinstituten sowie Medienexperten schlugen in Referaten vor, wie Vermieter, Bus­unternehmer, Gastronomen, Wattführer, Unternehmen der Region dieses Label in Umsätze umarbeiten können. Aber kann die Vermarktung wirklich zu beiderseitigem Vorteil sein? Oder muss der Plattfisch am Ende als Filmkonserve ins Wattenmeermuseum, weil das letzte lebende Exemplar auf einer Ausflugstour im Weltnaturerbe erangelt und anschließend filetiert wurde?

Mensch zwischen Gezeiten und Gesetzen?
Die Sache ist tatsächlich schwierig. Nationalparke sollen Landschaften und Lebensgemeinschaften schützen und erhalten, die sich in einem weitgehend vom Menschen unbeeinflussten Zustand befinden. Die natürlichen Prozesse sollen weiterhin ungestört ablaufen.


Der WWF nennt das: Wildnis. Unstreitig leben seit langem Menschen an der Küste und auf den Inseln. Der Meeresspiegel steigt seit Jahrtausenden an und immer galt es für die Menschen, die nackte Haut zu retten. So entstanden unter enormen Anstrengungen der Küstenbewohner Deichbau und Inselsicherung gegen die Wildnis der Nordsee. „De nich will dieken, mutt wieken“ (Wer nicht deichen will, muss weichen) war unerbittliches Gesetz der friesischen Bauern.

Solange die Menschen an der Küste nicht über die heutige Großtechnik verfügten, konnten Sie die Naturgewalten nicht besiegen. Ob das heute gelingt, ist letztlich nicht sicher. Aber die Küstenlandschaft hat sich durch den intensiven und als notwendig erachteten Küstenschutz schon erheblich vom natürlichen Bild entfernt. Mehr als in vergangenen Jahrzehnten versucht Küs­tenschutz heutzutage, die natürlichen, im Gezeitensystem vorhandenen Kräfte und Materialien auszunutzen. Küstenschutz findet nicht mehr in „militärischer Ordnung“ statt, sondern sehr viel mehr als Maßnahme, die auf die jeweilige Situation abgestimmt ist. Das ist ein Ergebnis auch der Küstenschutzforschung: Je besser das Gezeiten- und das Sturmgeschehen verstanden wird, desto gezielter, effektiver und auch naturverträglicher lässt sich handeln. Küstenschutz hat aber den Schutz von Menschenleben zum Ziel, nicht den Schutz der Natur.

-Uwe Garrels-

Fotos: U. Garrels


Quelle: de-utkieker

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28.04.2011 03:33
#8 RE: Weltnaturerbe – haben wir das verdient? Thread geschlossen

Folge 8:

Langeoog und das UNESCO-Welterbe Wattenmeer
Winter im Weltnaturerbe – Zeit der Erholung
für Tiere des Wattenmeeres?


Seit Juni 2009 zählt das Wattenmeer zum UNESCO-Weltnaturerbe. Insgesamt fast 10.000 Quadratkilometer groß, umfasst das Gebiet die Flächen der Wattenmeer-Nationalparks in Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie eines Schutzgebiets in den Niederlanden. Und mittendrin liegt Langeoog. Was bedeutet das Weltnaturerbe für die Insel, für die Küste, für uns alle? Fragen, denen Uwe Garrels im „Utkieker“ nachgeht. Der Archivar der Inselgemeinde und ausgewiesene Naturkenner ist vielen Gästen durch seine kurzweiligen Wattwanderungen, Ortsführungen und Vorträge bekannt.



Für Insulaner ist der Winter die Zeit der Erholung von der Saison. Die Pause in der Vermietung ist nicht das Ergebnis eines freiwilligen Verzichts auf Beherbergung von Gästen, sondern Ergebnis einer saisonalen Struktur. Langeoog ist der Ort fürs Draußensein. Im Winter sind nur über die Festtage und besonders über den Jahreswechsel viele Gäste auf den ostfriesischen Inseln. Man muss sich warm anziehen, die Tage sind kurz, es ist oft ungemütlich feucht draußen. Glücklicherweise gibt es dicke Jacken, heiße Getränke und eine warme Unterkunft. Aber auf leichte Bekleidung und stundenlange Spaziergänge mit nackten Füßen am Strand, auf die wärmenden Sonnenstrahlen, das lange Tageslicht und die angenehm kühlende Meeresbrise muss Mensch leider bis zum Sommer verzichten. Für die Insulaner früherer Jahrhunderte begann mit dem Winter oft eine lange Zeit des Mangels, ja des Hungers und der Abgeschiedenheit.


Kälte ist relativ

Wie geht es eigentlich den natürlichen Bewohnern des Wattenmeeres im Winter? Der Titel „Weltnaturerbe“ schützt jedenfalls weder Vogel, noch Wattwurm oder Muschel vor Kälte, Frost und Sturmwind. Die Arten, die wenig beweglich sind, können vor den widrigen Umständen nicht ausweichen. Sie müssen versuchen, vor Ort zu überleben. Vögel haben es da scheinbar einfacher. Aber auch sie „entscheiden“ nicht frei, ihr Verhalten ist weitgehend genetisch festgelegt. Die Zugvögel haben das Wattenmeer schon im Herbst verlassen und ihre gefährliche Reise nach Süden angetreten. Sie überwintern an der afrikanischen Westküs­te, wie die Knutts, oder gar in Südafrika, wie die Küstenseeschwalben; andere ziehen sich ans Mittelmeer zurück. Dafür kommen im Winter Austernfischer und Ringelgänse aus dem Norden in das Wattenmeer, um hier zu überwintern. Kälte ist eben auch etwas Relatives. Standvögel wie Silbermöwe und Eiderente verbringen das gesamte Jahr im Wattengebiet.


Wie Vögel „heizen“

Vögel sind ebenso wie die Säugetiere warmblütige Tiere. Sie müssen sich vor Unterkühlung hüten. Das ist im Winter nicht einfach. Ein Vogel, der Muscheln im Watt frisst, nimmt damit sehr kalte Nahrung und zusätzlich viel kaltes Wasser zu sich. Das Meerwasser kühlt sich auf 4 Grad bis zu –1 Grad Celsius ab. Muscheln und Würmer haben die Umgebungstemperatur des Wassers. Im Magen, der die höchste Körpertemperatur des Tieres aufweist, werden nun Nahrung und Wasser aufgewärmt. Die Arbeit des Magenmuskels erzeugt Wärme und bei der Verdauung von Proteinen wird ebenfalls Wärme produziert, so dass Vögel sich durch Aufnahme größerer Nahrungsmengen vor Kälte schützen. Die damit verbundene Bewegungsarbeit erzeugt ebenfalls Wärme; eine Eiderente friert also weniger, wenn sie etwas tut. Wenn der Wattboden auf Grund strengen Frostes eisbedeckt ist und die Tiere nicht an Futter gelangen können, dient ein kleines Fettpolster als Nahrungsreserve. Aber viel länger als eine Woche können Austernfischer und Eiderenten von ihren Fettreserven nicht leben. Bei anhaltend strengem Frost kommen Vögel an ihre Kraftgrenzen und können sterben.
Doch Fressen allein genügt nicht. Eine gute Isolierung muss her: Das zum Herbst erneuerte Gefieder ist im Winterhalbjahr besonders dicht. Vögel plustern sich auf, wenn es sehr kalt ist, um ein dickes Luftpolster zu erzeugen. Das Gefieder muss dicht sein, wenn der Vogel im Wasser ist oder wenn es regnet, denn wenn der Körper nass wird, kühlt er gefährlich aus. Daher ist Gefiederpflege wichtig. Die Bürzeldrüse am Hinterteil der Vögel sondert ein Sekret ab, das als Pflegemittel für die Federn dient. Der Vogel muss es regelmäßig und gut verteilen. Nur wenn die Struktur der Federn intakt ist, isolieren sie perfekt gegen Wind und Wasser. Viele Vögel stehen oft auf nur einem Bein, das andere ist unter dem Bauchgefieder eingezogen – ihre persönliche Energieeinsparverordnung.


Die Tricks der Muscheln

Und wie sieht es nun bei den wechselwarmen Wattbewohnern aus? Miesmuschel und Pazifische Auster, die auf dem Wattboden leben, sterben, sobald das Wasser in den Körperzellen gefriert. Aber sie überleben oft auch, wenn die Außentemperaturen weit unter null Grad sinken. Ein Widerspruch? Nein, denn nur reines Wasser (Süßwasser) bildet Eiskristalle. Miesmuscheln können den Körperzellen viel Wasser entziehen, so dass sich das Eis nur zwischen den Zellen bildet, während die Zellen selber verschont bleiben. Dieser Vorgang wird als „ausfrieren“ bezeichnet. Natürlich darf ein Lebewesen nicht vollständig austrocknen, aber hilfreich ist diese Methode, derer sich auch viele Würmer bedienen, schon.
Grundsätzlich gilt, dass alle in Oberflächennähe siedelnden Tierarten ausgeprägtere Schutzvorkehrungen gegen Frost besitzen als die tiefer lebenden. Bilden sich indes größere Eisschollen, schließen diese die Muscheln ein oder hobeln sie mit den Gezeitenströmen aus ihren Verbänden und lagern sie auf dem Strand oder in der Salzwiese ab, wo sie schließlich zugrunde gehen.
Pfeffermuscheln stellen zu Winterbeginn Ihre Fresstätigkeit vollständig ein. Sie graben sich aus ihren gewohnten sechs bis zehn Zentimetern Tiefe bis zu 20 Zentimeter tief in den Boden ein. Während es dort unten nur äußerst selten gefriert, kann dies an der Oberfläche durchaus geschehen. Dann könnten die Muscheln mit ihren dünnen Ein- und Ausströmröhren (den sogenannten Siphos) die Oberfläche nicht mehr erreichen. Also senken sie den Energie- und Sauerstoffbedarf durch Verlangsamung ihres Herzschlages und warten, bis es wärmer wird ...


Wattwurm und Schwefelwasserstoff

Auch Wattwürmer müssen Schutzvorkehrungen treffen. Wenn die Oberfläche friert, können diese Sandfresser erstens keine Nahrung mehr aufnehmen und zweitens auch keinen Sauerstoff, da sie kein frisches Wasser mehr von der Oberfläche her in ihren Wohngang pumpen können. Sie müssten ersticken, da im tieferen Wattboden nur sauerstoffloses Wasser vorhanden ist. Doch diese Tiere benötigen nur etwa ein Zehntel des Sauerstoffs, den eine gewichtsgleiche Menge an oberflächenbewohnenden Wattschnecken verbraucht. Zwar besitzen Wattwürmer keine Fettreserve. Aber sie können, sogar über mehrere Wochen, Energie aus dem im Boden vorkommenden, hochgiftigen Schwefelwasserstoffgas gewinnen und so ihre Überlebenschancen erhöhen.
Letztlich kommt es in strengen Wintern trotz aller Kniffe der Natur zum massenhaften Absterben von Würmern, Schnecken, Muscheln und Vögeln. Entscheidend ist jedoch, dass nicht alle Lebewesen einer Art sterben, sondern dass genügend Individuen übrig bleiben, die im folgenden Sommerhalbjahr soviel Nachwuchs zeugen, dass die Bestände sich erholen können. Wetterextreme führen ferner dazu, dass Einwanderer-Arten, die während der milden Winter überlebten, wieder absterben, wenn sie nicht an hiesige Bedingungen angepasst sind. Das ist ein echter Vorteil für die „Eingeborenen“, die heimischen Arten. Umgekehrt bedeutet es, dass bei dauerhafter Erderwärmung heimische Arten verdrängt werden können. Dies kann dann selbst der Weltnaturerbe-Status nicht verhindern, das schaffen wir allenfalls durch effektiven Klimaschutz.



Mit diesem Artikel beende ich diese Serie zum „Weltnaturerbe Wattenmeer“. Ich hoffe, dem Leser hat es Freude bereitet, sich auf eine andere Welt einzulassen, die nicht wirklich eine andere, sondern die eine, unsere Welt, ist. Ich wünsche Ihnen allen ein friedliches Weihnachtsfest und ein gesundes und gelingendes neues Jahr 2011. Danken möchte ich dem Team des „de Utkieker“, insbesondere Thilo Köpsel für seine große Geduld und redaktionelle Hilfe. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit Ihnen auf Langeoog.


Herzlichst
Ihr Uwe Garrels


Quelle. www.de-utkieker.de

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