#16 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Der Vormann erkennt, daß er sein Boot, das wieder bis zu den Duchten vollgeschlagen ist, keinen Augenblick länger hier halten kann und darf, wenn er nicht das grausige Schicksal des anderen Bootes teilen soll. Er winkt den Menschen auf dem Achterdeck zu:
„Wir kommen morgen wieder!" ruft er hinauf und zeigt auf die vier Männer, die das Wasser auszuschöpfen versuchen, während die anderen mit kurzen Riemenschlä-gen mühsam das Boot auf der Stelle halten. „We come back tomorrow morning! Klar? Tomorrow morning! Geht in die Masten! Enter the mast, boys! Schnell, eh's zu spät wird! Quickly!" Sie nicken, lösen sich von der Reeling, einige winken, und dann sehen die Rettungsleute, wie einer nach dem anderen sich über das ständig überflutete Mitteldeck zu den Masten durchkämpft. Der Kapitän steigt mit sechs weiteren Männern in die Großwanten, der Rest hangelt sich trotz der Höllensee, die um Mittel- und Vordeck rauscht, an den Strecktauen zum Fockmast durch und entert dort in die Fockwanten.
„Wir können nicht mehr rankommen!" erklärt der Vormann seinen Männern. „Unmöglich! Müssen nur vor dem Großsegel wieder raus. Laßt die Fock ganz weg, setzt Großsegel!"
Es geschieht. Mit Kurs auf See zu muß die "Frauenlob" noch mehrere Brecher nehmen, dann sind sie, dank der Geschicklichkeit des Vormanns, durch die Brandung und lassen das Boot treiben, um lenzen zu können. Jetzt, kurz vor dem Höchststand der Flut, steht eine haushohe Brandung vor der Einfahrt, und in der Otzumer Balje läuft schwere Grundsee. Der Sturm hat Orkanstärke erreicht und fährt mit schweren, harten Böen über die See. Endlos dauert es, bis das Wasser halbwegs ausgeschöpft ist und auch die Fock wieder gesetzt werden kann. Ein Blick zur Einfahrt des Seegatts zeigt den Männern, daß bei der stark laufenden Flut und der Wut des nun aus Westsüdwest tobenden Sturms, der eine schauerliche Grundsee im Fahrwasser aufwühlt, ein Einlaufen völlig unmöglich sein würde. Sie beraten sich. „Ankern hinter der Robben Plate" schlägt der Vormann vor, „da liegen wir bei dieser Windrichtung vielleicht einigermaßen geschützt und können an Land waten."
Alle stimmen zu. Mit dicht gerefften Segeln geht die "Frauenlob" auf den neuen Kurs. Zum dritten Male an diesem Tage muß das Boot schwere Sturzseen übernehmen, zum dritten Male greift die grausame See über den Bootsrand und läßt die salzigkalten Wassermassen den schon halb erstarrten Männern um Beine und Unterleib schlagen. Das Boot gehorcht kaum noch dem Ruder, als sie endlich nach stundenlangem Kampf mit der Sturmsee bei beginnender Dämmerung hinter den östlichen Sänden der Robben Plate zwischen dem Riff und dem Nordstrand von Spiekeroog auf seichtem Wasser das Boot vor zwei Anker legen und aussteigen. Der Jüngste bringt eine Leine an Land, mit deren Hilfe sie alle, in Ölzeug und großen Korkschwimmwestcn mühsam watend, glücklich den Strand erreichen.
Sie werfen noch einen Blick auf ihr Boot, das ständig von der Brandung überflutet, schwerfällig stampfend und bis zum Rand gefüllt, die Brecher abreitet. Dann treten sie, völlig durchnäßt und klamm vor Kälte, ihren Marsch zum Dorf an. Sie ahnen nicht, daß ihr Boot, im Lauf der Nacht sich losreißend, bis zur Jade vertreibt, und schließlich bei Eckwarderhörne an den Strand gespült wird - ein Wrack.
Eine Stunde lang stampfen die Erschöpften durch den wehenden Sand, erreichen die Hügelketten der sogenannten Weißen Düne, überqueren sie und schleppen sich todmüde zum Dorf Spiekeroog. Im Gasthof zur Linde, der die wie Seegespenster daherkommenden mit dem freundlichen Schimmer seiner im kahlen Geäst der großen Linde hängenden Laterne begrüßt, werden sie herzlich aufgenommen.
Vormann Ulrich Steffens überträgt die Bergung der "Frauenlob" dem Spiekerooger Vormann Frerichs und gibt die Meldung der Ereignisse des Tages telefonisch an die Rettungsstationen von Carolinensiel - Friedrichsschleuse, Langeoog und Westeraccumersiel. Er bittet sie, am Morgen des nächsten Tages an der Strandungsstelle zu sein. Auch die Angehörigen der Neuharlingersieler Bootsbesatzung werden benachrichtigt. Dann ruft Reeder Eilt Jacobs den Kapitän seines Schillsaugers "Immanuel" in Neuharlingersiel an: „Hör zu! Du mußt morgen früh um 7 Uhr am Anleger in Spiekeroog sein. Ich komme selbst an Bord. Wir müssen irgendwo klarliegen. Näheres sag' ich Dir morgen. Vier Rettungsboote kommen morgen früh' raus, die Besatzung von der Bark sitzt schon seit gestern Nacht auf ihrem Schiff in der Brandung, die müssen wir übernehmen, sobald es einem der Rettungsboote gelingt, sie zu bergen. Und schick' für unsere Männer das große Motorboot raus, auch an den Anleger hier. Hast Du verstanden? 7 Uhr an der Anlegebrücke von Spiekeroog! Klar?"
Diese Nacht ist die zweite, die die Besatzung der Bark "Paul" schutzlos an Oberdeck bzw. jetzt in den Wanten von Fock- und Großmast überstehen muß. Der Sturm heult, Regenböen fegen strichweise daher, und die eisigkalte Winternacht läßt die Glieder auch der härtesten Männern zittern. Mit dem ablaufenden Wasser der Ebbe flaut der Westsüdwest etwas ab. Er dreht zunächst auf Südwest zurück, um später wieder auf Westsüdwest auszuschießen. In dieser Nacht geht auf der "Paul" der Großmast über Bord. Mit ihm versinken sieben Männer, unter ihnen der Kapitän und die Steuerleute, in der Brandung des Riffs. Nun sind nur noch eine Frau und sechs Männer auf dem unglücklichen Wrack. Noch steht der Fockmast, in dem die letzten der Schiffbrüchigen unter der Fockrah im aufgegeiten Segel sich Schutz- und Wärme suchend aneinanderschmiegen.
#17 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Zwischenspiel
Im Dorf Spiekeroog hat der Vormann Frerichs noch in der Nacht vom 10. zum 11. Februar durch den Vormann und die Männer der "Frauenlob" von deren vergeblichen Rettungsversuch Kenntnis bekommen. Er benachrichtigt seine Bootsbesatzung. Sie soll noch in der Dunkelheit um 5 Uhr morgens zum Boot fahren und sich dort zum Auslaufen klarhalten.
Der Wind, der während der Nacht etwas abflaute, weht immer noch mit Stärke 6 bis 7, als die Rettungsmänner beim Boot ankommen, und es sieht so aus, als ob der Westsüdwest wieder auffrischen wollte. Sie lichten Anker, legen ab und laufen aus.
Schon sehr bald stellt sich heraus, daß die "Alexander" gegen den Sturm das Wrack nur erreichen kann, wenn sie weit hinausgehend aufkreuzt und windwärts Raum gewinnt.
Eine Stunde später macht sich auch Eilt Jacobs, der Reeder, auf den Weg zum Anleger. Den Schienen der Inselbahn folgend, stampft er, den Wind im Gesicht, durch die Nacht. Rechts erkennt er schwach gegen den wolkenverhangenen Himmel die Dünenketten, links breiten sich die flachen Wattweiden, über denen strichweise naßkalter Dunst in langen Schleiern vor dem Westsüdwest dahintreibt. Kein Stern ist zu sehen und der eisige Wind dringt durch Ölzeug, Mantel und Joppe bis auf die Haut.
Als er nach langem Marsch den Anleger erreicht, läuft noch Ebbe, die einen breiten naßbraunen Sandstreifen vor der Brücke freiläßt, zwischen deren Stützbalken und Bohlen das Wasser mit saugendem Geräusch abläuft. Die "Immanuel", ein Dampfschiff mit zwei Gaffelsegel führenden Masten und einem langen dünnen Schornstein, liegt mit der Motorschaluppe zum Abtransport der Neuharlingersieler Rettungsmänner an der Brücke unter Dampf. Der Reeder läßt ablegen und befiehlt dem Schiffsführer, auf eine Position unterhalb der Barre zu laufen, dort zu Anker zu gehn und sich zur Unterstützung der Rettungsboote klarzuhalten.
Cassen Eilts heißt der Vormann des Bootes der Rettungsstation von Westeraccumersiel, einem kleinen Fischerdorf, das an einem Arm des Neuen Tiefs, gegenüber dem Westende von Langeoog, hinter dem Festlandsaußendeich liegt. Ihm meldet der Postagent Johs. Fulfs am Abend des 10. Februar den Fernspruch, den Vormann Ulrich Steffens von Spiekeroog aus für die Station durchgab. Er berichtet über die Strandung der Bark, den vergeblichen Versuch des Neuharlingersieler Bootes und den Plan, am Morgen des 11. die in Frage kommenden Boote bei der Unfallstelle zu sammeln.
Cassen Eilts ordnet das Auslaufen für den nächsten Tag, den 11. Februar, für 05 Uhr morgens an.
Noch ist es stockdunkel, als die Rettungsmänner Johann, Karl und Hermann Wilters, T. und J. Peters, H. Hoffmeister, S. Tenjes, J. Agen, Rudolf Janssen und Arend Wessels sich beim steinernen Rettungsbootsschuppen treffen. Er liegt draußen vor dem winzigen Krabbenkutterhafen an der Westseite des Siels. Der Sturm pfeift um die niedrigen einstöckigen Fischerhäuser. Die kahlen Äste der Bäume vor dem Gasthof an der kleinen Sielschleuse neigen sich. Ober dem roten Ziegeldach des am äußersten Deichzipfel stehenden Fischerhauses dreht sich mißtönend und knarrend die Windfahne: ein unter vollen Segeln dahinrauschender Kutter aus Eisenblech. Gelbes Licht leuchtet aus den weißgerahmten Fenstern der Stuben, in denen die Frauen ihren Männern ein hastig zubereitetes Frühstück aus Speckeiern, Wurst, Brot und Tee reichten. Schwacher Torfrauch weht, waagerecht weggerissen, hier und da aus den Kaminen. Ein Hund bellt irgendwo.
Aus dem weit geöffneten Tor des Schuppens trifft ein Lichtbalken die kurze Ablaufbahn. Das Boot gleitet herab. Der Vormann läßt die Masten aufrichten und die Segel mittschiffs klarlegen. Die eisernen Dollen werden eingesetzt und jeder nimmt seinen Riemen klar.
#19 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Das Neue Tief, das sich vor den Dörfern Westeraccumersiel und Dornumersiel in zwei Arme teilt, die sich erst weit draußen im Vorland wieder treffen, hat viele Windungen. Es läuft durch das bei Niedrigwasser freiliegende Schlickland zur Accumersieler Balje, dem Fahrwasser zur Accumer Ee, dem Seegatt zwischen Baltrum und Langeoog. Das Boot kann infolgedessen bei der langen Fahrt durch das Neue Tief seine Segel nicht gebrauchen und muß zunächst gerudert werden.
Ein paar Frauen stehen beim letzten Haus auf dem Deich, als die Männer anrudern. Die weiten Röcke flattern um ihre Beine, die Kopftücher wehen im Wind. Langsam verklingt das Rucken der Riemen in den Dollen, als das Boot, die große Krabbendarre an der Westseite des Tiefs passierend, in der Finsternis verschwindet. Draußen in der Accumersieler Balje läßt Cassen Eilts Segel setzen und steuert, die Priele des Watt ausnutzend, quer über die weite Fläche die Otzumer Balje an.
Wie die anderen Vormänner ist auch Martin Janssen, Vormann des Rettungsbootes "E.A. Oldemeyer" der Station Carolinensiel, am Abend des 10. Februar von Spiekeroog aus über Neuharlingersiel über die Strandung und die Absicht, am Morgen des 11. mehrere Boote zur Rettung der Schiffbrüchigen anzusetzen, unterrichtet worden. Das Boot verläßt mit neun Mann am 11. Februar gegen 06 Uhr morgens den Schuppen, der an der Westseite des Wittmunder Tiefs vor dem Fischerhafen dem Sturmsignalmast gegenüberliegt. Der steife bis stürmische Wind, der auf der Fahrt übers Watt bis zur Schillbalje als Gegenwind mit Stärke 6 bis 7 weht, zwingt den Vormann, das Segel zu reffen und zu kreuzen.
Eisig kalt ist die Luft, und die trotz Ölzeug und Korkschwimmwesten entsetzlich frierenden Männer greifen zeitweise zu den Riemen, um warm zu werden. Endlos scheint die Fahrt übers Watt. Kein Feuer weit und breit, nur die schwarzen Besen der Pricken, die das passierende Boot wie höhnische, schräg geneigte Ausrufungszeichen aus der Dunkelheit auftauchen sieht. Die schneidende Morgenkühle vor der Dämmerung, der salzfeuchte harte Wind, und der über den Platen in durchsichtigen Streifen wabernde Dunst läßt die Männer erschauern. Als endlich die graue Dämmerung des Wintertages über das Watt heraufkriecht, die Umrisse der Dünen der langgestreckten Insel Spiekeroog an Steuerbord über dem Dunst sichtbar werden, beobachten sie ein paar Fischkutter, die, von Neuharlingersiel ausgelaufen, die Otzumer Balje ansteuern. Fern, kaum vernehmbar, tönt das harte Pochen ihrer Motoren, vom Wind getragen, herüber. Mit Tagwerden, gegen 07 Uhr 30, erreicht die "E. A. Oldemeyer" die Otzumer Balje. Das Boot macht gute Fahrt, passiert die zur Unterstützung klarliegenden Neuharlingersieler Fischkutter, ein oder zwei größere Motorschaluppen und den vor Anker gelegten Schilldampfer "Immanuel", und nähert sich schnell den Brechern, die mit rollendem Schwung über die Sände donnern. Der Vormann überlegt. Nordwestlich von ihnen liegt die Bark, von der sie bis jetzt noch nichts gesehen haben, weil es diesig geworden ist. Dort müssen sie hin. Im eigentlichen Fahrwasser der Otzumer Balje, das von dem Wrack wegführt, ist die See zwar etwas ruhiger, aber das Boot würde viel an Luv verlieren, wenn es ihm folgte. Es würde wahrscheinlich nicht ohne zeitraubendes Kreuzen an die Strandungsstelle herankommen. Martin Janssen entschließt sich deshalb trotz der gewaltigen Grundsee, die nun sehr nahe vor ihm liegt, durch die Brandung zu laufen. Wasser hat er durch die jetzt einsetzende Flut genug unterm Kiel, und das Boot ist ein Selbstlenzer, die Männer brauchen nicht zu schöpfen. Seetüchtig ist das Boot auch, wie alle Rettungsboote, und er, der Vormann, ist ein erfahrener Fischer. Er gibt den in Ölzeug und Schwimmwesten im Boot hockenden Rettungsleuten seine Absicht bekannt und hält auf die Branderreihen zu.
Zwar nimmt die "E. A. Oldemeyer" beim ersten Brecher, den sie ansegelt, und bei allen folgen-den, die sie durchsegeln muß, Wasser über und die Männer werden von Schaum- und Gischtflocken völlig durchnäßt. Das Boot kommt jedoch gut voran und hat bald die schlimmsten Grundseen hinter sich. In Lee, nach Osten zu, sichten sie zwei Boote, die mit gerefften Segeln nordöstlich vom Riff über die See tanzen.
„Spiekeroog und Westeraccumersiel!" meint Janssen und grinst. „Die werden im Fahrwasser gesegelt sein, und nun müssen sie dafür aufkreuzen!"
Anderthalb bis zwei Meilen seewärts machen sie den Hochseeschlepper „Roland" aus, der ebenfalls der Bark wegen auslief. Mit wehender Rauchfahne hält er sich draußen außerhalb der Sände in See klar.
Kurz danach kommt auch das, was von der Bark übrig blieb, in Sicht. Das Wrack ist nun völlig vom Wasser überflutet und nur der Fockmast ragt noch aus der röhrenden Brandung. Mit zusammengekniffenen Augenbrauen schätzt der Vormann den Abstand. Es sind wohl 1000 m und er merkt, daß auch sein eigenes Boot nicht mehr genug Luv hat, um an das Wrack heranzukommen. Der Wind hat erheblich aufgefrischt und die immer stärker auflaufende Flut hält das Boot fast auf der Stelle. Während er noch überlegt, sieht er plötzlich, wie 1500 bis 2000 m westlich ein Rettungsboot, mit einem einzigen, gerefften Segel mit raumem Wind in rascher Fahrt aus dem Dunst tauchend, auf das Wrack zuhält. Es ist das Langeooger Boot.
#20 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Die Rettung
Am 9. Februar liegt der Fischer und Rettungsmann Theodor Döring mit seinem Kutter auf Langeoog-Reede zu Anker. Schon den ganzen Tag wehte es hart. Seit dem Morgen ist der SW auf Sturmstärke gestiegen und nun, um 21 Uhr abends, ist es wohl besser, vorsichtshalber das Ankergeschirr einmal nachzusehen. Zwar ist hier Sandgrund und der Anker hat gut gefaßt; aber: sicher ist sicher! So steigt der Bootsmann gemächlich an Deck und geht nach vorne. Alles in Ordnung.
Als er sich umdreht, sieht er plötzlich weit über die Insel weg im Nordosten eine rote Notrakete in steilem Bogen hochsteigen und verlöschen. Eine zweite folgt und nach längerer Zeit eine dritte - dann nichts mehr. Muß über der Otzumer Balje sein, denkt er, irgend einer ist da bei diesem Sausturm in Not geraten. Ob sie das im Dorf bemerkt haben? Wohl kaum. Jetzt im Winter sitzt um diese Zeit alles in den warmen Stuben oder steht an den Theken der Inselgasthöfe herum. Niemand wird groß auf das achten, was draußen auf See passiert. Aber der Vormann muß es wissen, murmelt Döring. Seufzend holt er das hinter dem Kutter vertäute kleine Beiboot an der Fangleine längsseit, steigt ein und pullt mit den kurzen, mühelosen Schlägen des Berufsseemanns zum Wattstrand. Den Anker schleppt er weit auf den Sand und stampft querfeldein über das Vorland zum Dorf.
Casper Otten ist Vormann des Rettungsbootes der Station Langeoog, und Döring sucht ihn auf. Gegen 23 Uhr meldet er seine Beobachtung. Der Vormann schüttelt den Kopf: „Nachts können wir bei diesem Wetter nicht auslaufen, Theo. In Neuharlingersiel. haben sie das Rettungsboot, Motorschaluppen, Schleppdampfer und alles mögliche. Damit werden sie morgen früh eingreifen können, wenn es nötig ist. Jetzt nicht. Wir selbst können hier im Augenblick auch beim besten Willen nichts tun."
Telefonisch meldet Otten nach Neuharlingersiel die Beobachtung einiger Notsignale, die sich später nicht wiederholten.
Am Morgen des 10. fegt eine Schneebö mit wirbelnden Flocken vor dem Sturm einher und bedeckt im Nu Dünen, Dächer und Wattweiden mit einem dünnen, fahlweißen Tuch. Der Vormann, dem am Vormittag durch einen Fernspruch von Spiekeroog die Strandung der Bark und das Auslaufen des Neuharlingersieler Bootes über die Postagentur Langeoog gemeldet wurde, geht durch das wilde Gestöber die breite Dorfstraße entlang zu seinem Bootsmann. Den Schnee von der Joppe schüttelnd, tritt er ein: „Hör' zu, Theo! Wegen dieser Strandung: sie haben mir von Spiekeroog telefoniert. Eine Bark ist auf dem Westerriff aufgelaufen und sitz fest. Schiffbrüchige sind noch an Bord und die Neuharlingersieler sind mit ihrem Boot aus-gelaufen, sie herunterzuholen. Ich wollt' Dir das bloß sagen." „Meinst Du nicht, wir sollten einen Reiter zum Ostende schicken?" fragt Döring.
„Hat wenig Sinn bei diesem Schneesturm. Erstmal abwarten, was die Neuharlingersieler errei-chen. Wenn es dann noch nötig ist, laufen wir aus."
Der Tag vergeht, nichts weiter wird bekannt. Erst am Abend trifft die Nachricht ein, daß der Versuch mißglückte und gebeten würde, mit dem Boot der Station Langeoog-Ost am Morgen des 11., des folgenden Tages, zur Stran-dungsstelle auszulaufen. Die Rettungsboote von Westeraccumersiel, Carolinensiel und Spiekeroog würden ebenfalls zur Stelle sein. Casper Otten benachrichtigt die Rettungsmänner und den Fuhrunter-nehmer Albers, der Wagen und Pferde für die Fahrt zum Ostende und für den Ablaufwagen des Bootes stellt. Das Boot "Dr. G. Krause" liegt am Ostende der sehr lang gestreckten Insel in einem Rettungsschuppen.
Am Morgen des 11. sammeln sich die Rettungsmänner bei dem mit 4 Pferden bespannten Wagen, den Albers, der Fuhrunternehmer und Jäger, pünktlich an der ge-wohnten Stelle bereit hält. Neben dem Vormann sind es die Rettungsmänner: A. Janssen, J. Wilken, Th. Döring, A. Pauls, O. Leiss sen., H. Otten, H. Kuper sen., der Vater des heutigen Vormanns des Rettungsbootes "Langeoog", und B. Börgmann. Kaum haben sie das Dorf verlassen und traben auf der langen, ungeschützten Straße, die weit von den Dünen längs der Wattweiden zum Ostende führt, als der Sturm sie mit voller Gewalt faßt. Regenböen, untermischt mit Schnee, rasen wie wehende, eiskalte Vorhänge übers Watt heran. Feinkörniger Sand prasselt auf das Ölzeug der Männer, die sich bald, so eng wie möglich zusammengekrümmt, auf den Boden des Wagens legen. Immer wieder muß Albers die Peitschenschnur über den nassen, schweißglänzenden Rücken der Braunen tanzen lassen, die mit wehenden Schweifen und Mähnen im tiefen Sandgeläuft der Straße traben.
Endlich sind sie angelangt. Die schaumnassen Pferde werden aus- und in den schnell herausgezogenen Ablaufwagen eingespannt. Die Rettungsmänner klettern ins Boot, richten den Mast auf und legen Riemen und Segel zurecht. „Alles klar!" ruft Otten.
Unter Peitschenknall und anfeuernden Rufen wird der Wagen mit dem Boot über den tiefen Sand des Oststrandes in die Ausläufer der Brandung gezogen, umgedreht, und die kurze Ablaufbahn ausgeslipt. Das Boot gleitet hinab. Während die Männer den ersten Ausläufer zum Anrudern ausnutzen und das Boot über die erste heranrollende Brandungswoge bringen, zieht Albers den Kicker aus der Manteltasche, schiebt ihn auseinander und klettert zur nächsten Düne. Mannott, der Fuhrmann, hält die unruhig stampfenden Pferde, die, mit der Hinterhand gegen den Sturm gekehrt, mit den Ohren spielen. Von der Kuppe der Düne beobachtet Al-bers, wie das Boot hochaufbäumend die Branderreihen nimmt und bald hinter sich läßt, das Segel heisst, die Riemen einzieht und mit raunem Wind, schräg geneigt, davonschießt. Den Kieker zusammenschiebend geht er zu seinen Pferden zurück und klopft dem Handpferd anerkennend den nassen Hals.
Der Wind, der den ganzen Morgen über mit Stärke 6 wehte, frischt erheblich auf. Als das Boot seine Fahrt begann, lief noch Ebbe. Allmählich kentert der Strom und die Flut setzt ein. Der Wind schießt von Westsüdwest rechtsdrehend auf West aus und wird schnell stärker. Schon eine halbe Stunde später heult er mit Stärke 7, dann 8 aus Westen. Casper Otten, der Vormann, der, mit dem sicheren Gefühl des Kutterfischers jede Bö ausnutzend, keinen Meter Luv preisgibt, passiert nun die "Immanuel", die sich ebenso wie die Neuharlingersieler Krabbenkutter und ein paar große Motorschaluppen südlich der Barre, des Westerriffs, zur Unterstützung klarhält. Von Deck des Schillsaugers sind die Gläser auf das in langen Schwüngen über die See tanzende Boot gerichtet. Kurz blickt der Vormann hinüber. Drüben reckt sich ein Arm in Richtung des Wracks, eine Stimme schreit gegen den Sturm: „Dor sünn noch week!" (da sind noch welche!)
Otten brummt zornig vor sich hin und wischt mit der Linken das Spritzwasser aus dem Gesicht, das eine See übers ganze Boot versprühte. Deswegen fahren wir ja hin, denkt er, sonst würden wir doch hier nicht herumtanzen! Dann entdeckt er Eilt Jacobs, den Reeder selber, kenntlich an seiner blauen Schiffermütze mit dem goldenen Abzeichen, sieht wie der den Arm hebt, und hört ihn rufen: „Foahrt mit Gott!"
„Dat's schon bäter!" (das klingt schon besser), sagt Otten ganz laut, luvt ein wenig an und richtet seine Aufmerksamkeit wieder auf See, Wind und Segel. Weiter geht die Fahrt. Und näher rückt das Wrack, das der Vormann sehr sorgfältig beobachtet. Nur zuweilen, wenn eine besonders grobe See weißmähnig unter dem immer noch stehenden Fockmast hindurchrollte, erscheint hinter ihrem dunkelgrünen mächtigen Rücken hier und da noch ein Stück des völlig vom Wasser überrauschten Schiffskörpers: ein Teil des Vorschiffs mit dem Gangspill, Niedergänge zum Mittelschiff und das erhöhte Achterdeck mit dem breiten Heck. Nur der einsame Mast, der zwischen den Brechern mit dem Spinnweb seines Takelwerks, den langen Rahen und aufgegeiten Segeln aufragt, trotzt noch den Gewalten.
An der Luvnock, dem dem Winde zugekehrten Ende der Fockrah, angeklammert an das von der darüber hängenden Marsrah herabkommende Marsgeitau, steht eine Gestalt. Schlank und klein, das von Frost rote Gesicht dem näher kommenden Boot zugekehrt. Ein Junge ist es, dessen Haar wild im Sturm flattert, und der nun, die Linke vom Geitau lösend, winkt.
„Ein Junge!" ruft der Vormann den Männern zu. „Und aus dem Segeltuch unter der Rah recken sich Köpfe!" Schnell überblickt er die Lage beim Wrack. In Lee, an der Steuerbordseite der "Paul", wo gestern noch das Neuharlingersieler Boot seinen Versuch machen konnte, ist ein Herankommen heute unmöglich. Die haushohen schweren Brecher der Brandungssee und das neben dem Schiff treibende Holz und Takelwerk der über Bord gegangenen Masten verhindern das. Ich muß in Luv herangehn, überlegt Otten, so unseemännisch das sonst auch ist. Geht nicht anders: Anker weg, Verbindung aufnehmen. Vielleicht glückt es. Viel Zeit ist nicht mehr zu verlieren, sie sind dem Wrack schon bedenklich nahe gekommen. Den Rettungsmännern seine Absicht zubrüllend, läßt er das Boot in Luv des Wracks aufdrehen, gleichzeitig das Segel aufgeien, 15 m vom Wrack entfernt den Anker werfen und ein langes Stück des Ankertaus ausstecken. Mächtig stampfend steht "Dr. G. Krause" auf der Stelle, wird von See und Flutstrom zurückgesetzt und geht achteraus. Das Ankertau strafft sich, ein Ruck: der Anker hat gefaßt und hält. Erleichtert zeigt der Bugmann vorn auf der vordersten Ducht mit der Linken klar und belegt das Ankertau. Das Boot liegt nun sicher, wenn es auch bei dem ruckweisen Stampfen Wasser übernimmt und alle völlig durchnäßt werden, sobald ein Brecher, am Boot vorbeischäumend, Salzwasser und Gischt über Boot und Besatzung schleudert. Th. Döring, der Schotmann, läßt aus einem Kanister Öl außenbords tropfen. „Wurfleine!" schreit Otten.
Jemand nimmt die Wurfleine klar, richtet sich, beim Arbeiten des Bootes stolpernd, auf und steht breitbeinig, einen Fuß vorgesetzt und mit Hüften, Knien und Beinen das tolle Tanzen des Bootes ausbalancierend, klar.
Der junge auf der Rah - wie sich später herausstellt, der Schiffsjunge und Sohn des Kapitäns - hat die Manöver genau verfolgt. Er spricht zu seinen Kameraden, die bisher im Segeltuch halb verborgen und an der Rah festgebunden hingen. Sie, die ohne Trank und Nahrung nun zwei grausige Nächte über sich ergehen ließen, richten sich auf, klimmen auf die Rah und klammern sich an die Jeckstagen. Bleiche Gesichter, denen die Haare wirr in die Stirnen hängen, starren auf das auf und nieder stampfende Rettungsboot.
Eine Frau und sechs Männer zählt der Vormann. Aber es wird Zeit, lange kann er hier nicht liegen bleiben, es muß etwas geschehen, sofort geschehen. Der Mast kann jederzeit brechen, das Ankertau seines Bootes bei der ungeheuren Beanspruchung, dem dauernden Einrucken, durchscheuern. Er sieht hinauf, preit (schreit) den Jungen an, und weist auf den mit der Wurfleine klarstehenden Rettungsmann. Der da oben zeigt verstanden. „Ein tüchtiger Bengel", denkt Casper Otten, „der einzige, der noch Leben und Widerstandswillen zeigt!"
#22 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Und dann gibt er dem Rettungsmann ein Zeichen. Der legt den Oberkörper zurück, schwingt ein paarmal den Arm mit den Rundtörns der Leine, holt aus und läßt fliegen. In hohem Bogen saust die dünne, aber starke Leine durch die Luft. Der Sturm hilft mit: 6 bis 7 m hoch steigt sie, fällt über die Rah und bleibt, vom Gewicht des kleinen Sandsäckchens am vorderen Ende gehalten, über der Fockrah hängen. Schon eilt der Junge hin, hält sie fest, zeigt klar und beugt sich zur ersten Gestalt, die, halb aus dem Segeltuch hervorgekrochen, mit beiden Händen das Jeckstag der Rah umklammert. Der Vormann ruft und winkt.
„Nimm ein Ende! Ein Ende! Get a rope!" und er macht ein Zeichen mit der freien Linken um seinen Leib. Der Schiffsjunge hat verstanden. Die Schiffbrüchigen, die sich mit Leinen festgebunden hatten, begreifen ebenfalls und schon wird dem ersten - es ist die Frau, die Köchin der Bark - eine Hanfleine um den Leib geknotet. Auch die Wurfleine des Rettungsbootes wird unter den Schultern befestigt. Vom Jungen unterstützt, kriecht die Frau zum Ende der Rah. Langsam, Hand über Hand, von anderen Schiffbrüchigen unterstützt, fiert der Junge sie herab, während die Männer im Boot, als der Körper ins Wasser gleitet, die halberstarrte Finnin schnell heranziehen und ins Boot zerren. Der festgezogene nasse Knoten, den die von Wind und Kälte fast gefühllos gewordenen Finger des jungen nicht allzu kunstgerecht geschlungen hatten, wird gelöst, an die Wurfleine gesteckt und von dem Schiffsjungen wieder zur Rah geholt.
Der zweite Schiffbrüchige wird angesteckt. Es ist der Schiffszimmermann, ein etwa 50jähriger Grieche, krank, viel zu schwach geworden, um bis zur Rahnock zu gelangen, um von dort hinabzuspringen oder hinuntergefiert zu werden. Von dem Platz, an dem er angebunden war, vom ersten Drittel der Fockrah, läßt der Junge den Alten auf das überflutete Deck hinab, so daß die Wurfleine, nun über der Backbordfockbrass hängend, vom Rettungsboot aus mitgefiert werden muß. Glücklicherweise ist sie lang genug. Unten angelangt, reißt die See den Mann bis zum Fuß des Fockmastes und spült ihn über Bord. Der bewußtlos gewordene treibt, da der Vormann durch Ruderlegen das Boot ein wenig heranscheeren lassen kann, nahe genug, so daß die Rettungsmänner Hillrich Kuper sen., J. Wilken und Hermann Otten den Unglücklichen mit dem Bootshaken greifen, ihn heranziehen und übernehmen können. Als sie sich um den Ohnmächtigen bemühen, ihm die Rumflasche an den Mund setzen, merken sie, daß ihm die Zähne seines Gebisses im Hals stecken. Wiederbelebungsversuche, die so gut es geht bei dem stark arbeitenden Boot sofort begonnen werden, bleiben erfolglos.
Oben auf der Rah steht der Junge, hält Ausschau und wahrschaut (warnt) vor jedem herankommenden großen Brecher. Einer nach dem anderen wird auf die gleiche Weise wie die Frau ins Rettungsboot geholt. Die Geretteten sind völlig außer Atem, erschöpft, durch und durch verfroren und steif. Kaum daß sie den Rum schlucken können, der ihnen fürsorglich zwischen die Zähne gegossen wird. Nur ihre Augen sind wach und lebendig und mustern die über sie gebeugten Gesichter der Rettungsmänner. Sie werden ins Boot gelegt und so gut es gehen will, sorgsam mit dem Ölzeug der Rettungsmänner zugedeckt. Als letzter springt der Schiffsjunge von der Rahnock, und kaum an Bord der "Dr. G. Krause", bittet er mit flehenden Gebärden um eine Zigarette.
„Bist en fixen jung'! A smart boy!" meint der Vormann und gibt, während der Schiffsjunge seine Zigarette und Streichhölzer gereicht bekommt, die er, im Cockpit kauernd, nach mehreren vergeblichen Versuchen in Brand steckt, das Zeichen zum Ankerlichten. Die Männer greifen zu den Riemen und rudern, nachdem der Anker gelichtet ist, an, um das Boot, erst mit kurzen Schlägen pullend, klar vom Wrack zu halten. Der starke Flutstrom läßt das Boot schnell frei treiben, das aufgegeit gewesene Segel wird gefiert. Casper Otten läßt das Boot abfallen, das nun in schneller Fahrt der Otzumer Balje zusteuert.
#23 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Kollision auf der Heimfahrt
Fachkundig haben die anderen, in Lee des Westerriffs sich haltenden Rettungsboote die Ubernahme der Schiffbrüchigen verfolgt. Sie haben gesehen, daß auch der Letzte vom Langeooger Boot geborgen wurde und treten nun, im Fahrwasser segelnd, die Rückfahrt an. In einem Abstand von 500 bis 1000 m laufen sie mit gleichem Kurs auf die Einfahrt zwischen Langeoog und Spiekeroog zu. Der Wind hat wieder fast volle Sturmstärke erreicht. Dicht nebeneinander liegende lange Schaumstreifen und gewaltige Grundseebrecher laufen, mit der Flut ziehend, im Fahrwasser. Sie nehmen, schneller als die Boote selbst, diese auf ihre langgewölbten Rücken, und schieben sie mit großer Geschwindigkeit vorwärts. Vorne liegt das Carolinensieler Boot, dem das Langeooger mit den Geretteten folgt, hinter diesem segeln die Spiekerooger und als letztes Boot die Westeraccumersieler.
Die größte Gefahr für die Boote besteht jetzt darin, daß ein Boot, das auf dem Kamm einer See reitet, den vollen Sturm in den Segeln hat und hierdurch, sowie durch die ungeheure Geschwindigkeit des nachschiebenden Brechers, mit hoher Fahrt ins Wellental hinabschießt. Ein Boot jedoch, das sich zwischen zwei der 3 bis 5 m hohen Kämme befindet, hat keinen Wind in den Segeln, gehorcht kaum noch dem Ruder und ist nahezu hilflos, bis es, von der nächsten heranfegenden See gehoben, erneut Wind in die Segel bekommt, Fahrt aufnimmt und auf den Kamm getragen wird. In dem Augenblick, in dem ein Boot im Wellental liegt, kann es sehr leicht querschlagen und kentern.
Der Carolinensieler Vormann, Martin Janssen, läßt das Großsegel wegnehmen und nur die beiden vorderen dichtgerefften Segel, Fock und Klüver, stehen. Während dieses Abschnittes der Fahrt wird das Boot mit der Pinne und einem zusätzlich ausgebrachten langen Riemen, wie ihn die Wikinger auf ihren Langschiffen ausschließlich verwendet haben, gesteuert. Der Mann am Ruder und die Männer an den Schoten sind vor allem in solchen Augenblicken die wichtigsten im ganzen Boot. Plötzlich ein Schreckensruf: „De hebbt sück jagt!" (die haben sich gejagt, gerammt!)
An Backbord, in Lee der "E. A. Oldemeyer", ist das Unglück geschehen.
Vom Kamm eines hoch daherjagenden Brechers herab schießt das Westeraccumersieler Boot auf das im Wellental fast ohne Fahrt liegende Spiekerooger, das nach Backbord drehend im letzten Augenblick noch auszuweichen sucht. Diesem Boot ist schon vorher das in einem langen Fingerling aufgehängte Ruder im schweren Seegang der Brandung herausgerissen worden, so daß Vormann Frerichs nur mit dem Riemen steuern mußte.
#25 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Der Rettungsmann Joh. Einem, durch die erschreckten Ausrufe der anderen aufmerksam gemacht, fährt auf und sieht sich um. Da kracht bereits der Bug des heransegelnden Bootes mit voller Wucht von oben kommend, auf die Backbordseite der "Alexander" herab. Der Rettungsmann taumelt, stürzt und verletzt sich die Kniescheibe. Ein zweiter Mann wird ebenfalls verletzt, während die Gewalt des Zusammenstoßes zwei Mann des Westeraccumersieler Bootes, die Rettungsleute Arent Wessels und Joh. Wilters, in das Spiekerooger Boot schleudert. Dann kommen die Boote - wie, wissen sie nachher selber nicht zu sagen - auseinander.
Ein Wunder, daß bei der Ramming nicht mehr passierte, denn beide Boote sind beschädigt. Das Spiekerooger hat ein Leck dicht über der Wasserlinie davongetragen, Riemen, mit denen sie beim Wenden das Manöver unterstützteil, sind gebrochen, samt dem Bootshaken über Bord gefallen, und treiben davon. Mit der Handpumpe das Wasser lenzend, segeln sie weiter. Der Vormann kann den Kurs durchhalten, eben frei vom Spickerooger Weststrand kreuzen, und geht um 12 Uhr mittags bei der Spiekerooger Anlegebrücke zu Anker.
Das Westeraccumersieler Boot, Vormann Cassen Eilts, wird bei dem Zusammenstoß schwer beschädigt. Zehn Minuten später bricht durch die Gewalt der See das Ruder, und es bleibt dem Vormann nichts anderes übrig, als mit dem manövrierunfähig gewordenen Boot den Weststrand von Spiekeroog anzusegeln, um dort das Boot zwischen den Buhnen auflaufen zu lassen. Die Männer erreichen am Vormittag um 11 Uhr das Dorf und müssen des Sturmes wegen auf der Insel warten. Sie reparieren das Ruder und laufen am nächsten Tage, dem 12. Februar, um 13 Uhr, mittags aus. Übers Watt segelnd erreichen sie um 18 Uhr abends Bensersiel, von wo die Rettungsmannschaft zu Fuß nach Westeraccumersiel zurückkehrt. Das Boot bleibt zur endgültigen Reparatur zunächst in Bensersiel liegen.
Die Carolinensieler halten sich zur Unterstützung des schwer beladenen Langeooger Bootes in dessen Nähe. Die gewaltigen Grundseen im Fahrwasser machen beiden einlaufenden Booten zu schaffen. Schreckenerregend türmen sich hinter ihnen die heranrasenden Kämme. Als die Kameraden wie gebannt nach hinten starren, ruft ihnen darum der Loggerkapitän Jacob Janssen, der als Rettungs-mann im Boot sitzt, warnend zu: „Vöörut kieken! Dor möt wi hen!" („Voraus gucken - da müssen wir hin!")
Erst als sie beobachten, wie das Langeooger Boot, beim Schillsauger längsseits gehend, die Überlebenden abgibt, setzen sie beruhigt ihre Rückfahrt fort. Gegen Mittag erreichen sie wohlbehalten, wenn auch naß und verklammt, ihren Heimathafen Friedrichsschleuse.
Inzwischen hat Casper Otten mit dem Langeooger Boot den Schillsauger, der unter Schutz des Langeooger Oststrandes gelaufen ist, erreicht. Er geht längsseit und setzt die Überlebenden dort ab. Als letztes wird die Leiche des während der Rettung verstorbenen griechischen Schiffszimmermanns an Deck der "Immanuel" gegeben. Ernst sieht der Vormann den an Deck die Übernahme und Betreuung der Geretteten leitenden Reeder an.
„Wo de Lebendign blieven, dor blieven ok de Doten!" sagt er und nimmt ehrfürchtig seine Pudelmütze vom Kopf. Der Schilldampfer geht nach der Übernahme nach Neuharlingersiel. Die vor Überanstrengung halbtoten, froststarren Überlebenden werden in den Krankenhäusern der nächsten kleinen Stadt untergebracht.
Während der Rückfahrt der vier Rettungsboote geht auch der letzte Mast der "Paul" mit einer gewaltigen Grundsee über Bord. Nichts verrät mehr die Stelle, wo vor nunmehr fast 40 Stunden die Bark strandete. Vormann Casper Otten kam mit dem Langeooger Boot buchstäblich in letzter Stunde, die sieben Überlebenden zu retten.
#26 Nachträge zur Strandung der finnischen Bark "Paul"
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ich hatte ja immer lange vorgehabt, noch weitere Informationen über die Bark Paul zu sammeln und hier zu veröffentlichen. Ich bleibe da noch weiter am Ball und es folgt demnächst so nach und nach weiteres über die Bark. Ich hoffe, daß Claus mir noch selbst was über die Fahrten seines Großvaters schreiben kann.
Anfang September 2006 bekam ich aufgrund der Strandungsgeschichte Post von Claus Stapelmann aus Santa Barbara in Amerika. Er ist in St. Pauli geboren und aufgewachsen. Sein Grossvater war als Kapitan auf der Bark Paul. Er unternahm von 1878 bis 1884 Fahrten nach Australien und Hongkong. Diese Bark Paul wurde 1894 nach Finland verkauft an Johansson, Hango.
Stapellauf 1878 Werft Conradi , Kiel 718 t 50.1 m Laenge 10.4 m Breite Reederei Adolph Strantzen von 1878 to 1884 verkauft an Johansson, Hangoe am 26.10.1894
#27 RE: Nachträge zur Strandung der finnischen Bark "Paul"
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In den Jahren 1919 - 1920 gab es drei finnische Schiffe, die Paul hießen, zwei Galeren und ein Bark.
Bark Paul wurde in Kiel 1878 gebaut und gehörte A.E. Mattson in Kimito 1903 - 1917. 1917 wurde dieses Schiff in Pori von seinem neuen Eigentümer, R.Wahlroos eingeschrieben.
Das Schiff ging am 10.2.1920 völlig verloren. Eines jener Galerenschiffe wurde in Hanko (Hangö) in 1919-20 eingeschrieben, aber das muß ein völlig anderes Schiff gewesen sein. Quellen: Register-Karten von finnischen Schiffen 1918 - 1950 am Seemuseum Finnlands, das Register von Lloyd 1919-20 und Suomen Kauppalaivasto (finnische Handelsflotte) 1918.
Mit freundlichen Grüßen Ismo Malinen, tutkija Museovirasto Suomen merimuseo Hylkysaari, 00570 HELSINKI
#28 RE: Nachträge zur Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Hier ist die Information, die wir über die Bark Paul zusammengesammelt haben.
Die Quellen, die wir verwendeten, waren Lloyds-Register des Verschiffens und Suomen Kauppalaivasto (die finnische Handelsflotte (Register)). Leider sind wir nicht im Besitz beider Register in ihrer Gesamtheit, und es gab einige Diskrepanzen in einigen der Infomation bezüglich des Eigentumsrechts.
Seit 1894 (oder 1891 gemäß Suomen Kauppalaivasto) wurde das Schiff auf O.W. Johansson, Hangö, Finnland, bis 1903 eingeschrieben
Zwischen den Jahren 1903 und 1917 (wieder Suomen Kauppalaivasto) war es im Besitz von A.E. Mattsson, Å Filiale, Finnland.
Schließlich ging das Schiff ins Eigentumsrecht von R. Wahlroos, Pori, wahrscheinlich im Jahr 1917, obwohl das Lloyds-Register die Tatsache nicht anzuerkennen scheint. Das Schiff traf das tragische Schicksal im Februar 1920 unter dem Eigentumsrecht des letztgenannten R. Wahlroos, weil Sie festsetzten.
Es scheint zweifellos zu sein, daß das Schiff in Kiel 1878 gebaut wurde, welches dann vor der Küste Deutschlands 1920 gesunken war. Das scheint nicht der einzige Unfall des erfahrenen Schiffs zu sein. Anscheinend kolllidiete während der Nacht vom 29.12.1897 die Bark Paul mit dem britischen Steamer Loch Lomond. Die Paul wurde beschädigt und verlor einen Anker. Die Briten wurden verurteilt, 26000 deutsche Mark für den Schaden zu bezahlen, den es verursachte.
Hier ist ein paar zusätzliche Infomation der Bark Paul:
Tonnage: 765,62 brt, 743,80 nrt Maße: 50,05 x 10,37 x 6,09 M (151.4 x 34.0 x 18.7 ft)
Eigentümer:
Otto W. Johansson, Dragsfjärd 1891 - 1903 A.E. Mattsson, Kemiö 1903 - 1917 R. Wahlroos, Pori 1917 - 1920
Kapitäne: Otto W. Johansson 1891 - 1900 Gustaf W. Lindström 1900 - 1902 und 1911 - 1917 Karl Anton Söderholm 1903 - 1907 K. Andersson 1907 - 1908 A. Granholm 1917 - 9/10.2.1920
ich hoffe die Information, die wir zur Verfügung stellten, ist von Nutzen für sie.
Mit freundlichen Grüßen Timo Carey Suomen merimuseo (Seemuseum Finnlands) Hylkysaari Helsinki Finnland
#30 RE: Nachträge zur Strandung der finnischen Bark "Paul"
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hier mal ein Bild von Claus Stapelmann
Zur Zeit hat er die Log Bücher der Bark Paul mit den Reisen nach Australien und Hongkong gefunden. Sie machen Abschriften davon. Ihm ist auch ein Foto von der Bark Paul versprochen worden, aber das Museum baut um und das Foto ist erst Ende Mai zu haben. Es ist eine Lange Geschichte, wenn sie fertig ist berichtet er sie mir.
Als PDF-Datei habe ich noch mal ein Schreiben vom Deutschen Schiffahrtsmuseum beigefügt