#1Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Die hier geschilderte Seenotrettung ist eine der letzten, die ausschließlich mit Ruderrettungsbooten ausgeführt wurde.
Ruderrettungsboote sind im Seenotrettungsdienst der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) inzwischen längst ersetzt durch schnelle, mit allen Hilfsmitteln moderner Technik ausgerüstete Seenotrettungskreuzer und -boote. Auch große Frachtsegler, wie die Bark "Paul", sind heute von den Weiten der Weltmeere verschwunden - ihre Zeit ist vorüber.
Geblieben aber ist der bedingungslose Einsatz der Rettungsmänner für die in Seenot geratene Kameraden aller Nationen.
Es lohnt sich auf jeden Fall die Seite der DGzRS ( http://www.dgzrs.de ) zu besuchen und sich dort von deren großartigen Tätigkeit zu überzeugen. Die Gesellschaft hat ihren Sitz in Bremen und wird ausschließlich durch freiwillige Spenden und Beiträge finanziert. Ich bedanke mich an dieser Stelle recht herzlich für die Genehmigung zur Veröffentlichung.
Nach Orginalunterlagen und Augenzeugenberichten wird das nachfolgende Ereignis von Fritz-Otto Busch erzählt und von Hans Tress illustriert, wie fünf Ruderrettungsboooe um das Leben der Schiffbrüchigen kämpfen.
#2 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Die Strandung der finnischen Bark "Paul" und die Rettung der Überlebenden wird im Folgenden unter Berücksichtigung aller Berichte der damaligen Vorleute und der Gespräche mit noch lebenden Rettungsmännern der fünf beteiligt gewesenen Boote der DGzRS in ihrem historischen Verlauf geschildert. Die Reihenfolge der einzelnen Rettungsfahrten wird - soweit die betreffenden Uhrzeiten heute noch feststellbar waren - nach den Auslaufzeiten der Boote gegeben.
Alle Boote waren Ruderrettungsboote. Sie wurden aus ihren Schuppen auf Gleitbahnen unmittelbar in das Siel oder Tief abgelassen. Das Spiekerooger und das Langeooger Boot wurde vom Bootsschuppen auf dem das Boot tragenden und von 4 oder 6 Pferden gezogenen Ablaufwagen über Dünen- und Strandgelände zur Brandung gefahren und dort zu Wasser gelassen.
Alle Boote führten außer den Riemen (Ruder) Segel, und zwar ein kleines dreieckiges Vorsegel und zwei Luggersegel an den beiden Masten, deren Benennung: Fock- und Großsegel, allgemein üblich war. Das Langeooger Boot besaß nur einen Mast. Die Besatzung der Boote bestand aus dem Vormann und 8 bis 10 Rettungsmännern.
a Außenklüver b Innenklüver c Vor-Stengestagsegel d Groß-Bramstagsegel e Groß-Stengestagsegel f Besan-Stengestagsegel g Besan-Stagsegel h Gaffeltoppsegel i Besan
Die Rahsegel
A Vor-Oberbramsegel B Vor-Unterbramsegel C Vor-Obermarssegel D Vor-Untermarssegel E die Fock F Groß-Oberbramsegel G Groß-Unterbramsegel H Groß-Obermarssegel I Groß-Untermarssegel J Großsegel
#4 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Worterklärungen
abfallen = vor den Wind gehen aufgeien = Zusammenschnüren eines Segels durch Taue (sog. Gordings- und Geitaue) aufschießen = eine Leine aufrollen, klarlegen. Auch Umspringen des Windes.
Backbord = links Bark = Segler mit 2 vollgetakelten Masten (mit Rahsegeln) und 1 Besanmast (mit Gaffelsegel) Besanmast = hinterster, nicht vollgetakelter Mast einer Bark (siehe Zeichnung). Block = Rolle für Flaschenzüge Bosseln = friesisches Wintersport-Spiel Brass = Tau zur Bedienung der Rahen (Querhölzer am Mast) Bohne = zum Schutz des Ufers sich in die See erstreckender Damm aus Steinen
Davit = kranartige Vorrichtung, in der ein Schiffsrettungsboot aufgehängt ist Dolle = Halterung für einen Riemen (Ruder) Ducht = Sitzbank im Ruderboot
Falm = Uferböschung, Bollwerk fieren = herunterlassen Fockmast = vorderer Mast eines vollgetakelten Segelschiffes (siehe Zeichnung). Fodcrah = die unterste Rah am vorderen Mast
Gaffel = Rundholz, an dem die Oberkante eines Segels befestigt wird Gangspill = eine durch Menschenkraft betätigte Winde
Isländer = dicker Pullover mit Rollkragen Jedtstag = Haltevorrichtung auf der Rah in der Art eines niedrigen Geländers kentern = Umschlagen eines Bootes, Änderung der Stromrichtung bei Ebbe bzw. Flut Kimm = seemännisch: Horizont Klampen = Vorrichtung zum Befestigen eines Taues Klootschießen = friesischer Volkssport
Lee = die dem Wind abgekehrte Seite Leuchtfeuer = Lichter von Seezeichen und Leuchttürmen Lieken = Taue, die am Rand eines Segels zur Verstärkung eingenäht sind, um ein Einreißen zu verhindern Logbuch = Schiffstagebuch Luggersegel = Besegelung, wie sie die Rettungsboote zeigen
Luv = die Seite, von der der Wind kommt Marsgeltau = Tau zum Aufgeien (Zusammenschnüren) des Mars-Segels Marsrah = siehe Zeichnung
Ösen = Wasser ausschöpfen Pad = Dünenweg Pricken = Zweige, kleine Bäume und Stangen zur Markierung des Fahrwassers im Watt Priel = tiefe Rinne im Watt, die bei Ebbe Wasser führt, wenn der umliegende Grund trocken fällt pullen = seemännisch: rudern
Rah = Segelstange, waagerechtes Rundholz, an dem das Segel festgemacht ist (siehe Zeichnung). Rahnock = äußerstes Ende einer Rah Rahsegel = quergestelltes Segel (im Gegensatz zum Gaffelsegel, das auf einer Seite am Mast befestigt ist) raumer Wind = schräge von hinten kommen-der Wind reffen = Verkleinern eines Segels bei Sturm Riemen = seemännischer Ausdruck für die Ruder, auch Reemen genannt Ruderpinne = Rundholz zur Bedienung des Steuers
Schillsauger = Muschelsand-Bagger Schot = seemännisch: Segelleine Seegatt = Durchfahrt zwischen den Inseln Selbstlenzer = automatische Entleerungseinrichtung für eingedrungenes Wasser Siel = kleine Deichschleuse; auch Priel, der mit dieser in Verbindung steht Signalleine = Flaggenleine, an der Signalflaggen oder -zeichen aufgezogen werden Steuerbord = rechts Strecktau = Sicherungstau, über Deck gespannt, zum Festhalten bei schwerer See
Takelage = die Masten eines Segelschiffes mit allem Tauwerk und Zubehör Talje = Flaschenzug Tief = tiefe Fahrrinne zwischen Untiefen
Upstalsboom = Baum, unter dem in altgermanischer Zeit Gericht gehalten wurde
Vorsegel = Dreieck-Segel
Wanten = Strickleiter im Mast Watt = flaches Seegebiet vor der Küste, das bei Ebbe trocken fällt Wikinger Königsdrachen = Wikingerschiff
#5 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Schiff auf Strand
In der Nacht vom 9, zum 10. Februar 1920, einer finsteren, von starkböigem Südwest durchtosten Sturmnacht, strandet die finnische Bark „Paul".
Heimathafen: Pori an der Südwestküste Finnlands, Kapitän: August Graenbau, 14 Mann Besatzung, darunter, wie es auf finnischen Seglern üblich war, eine Frau als Köchin. Ladung: 1500 t Steinkohle.
Die Bark war von Hull nach Kopenhagen unterwegs. Das Schiff, das von Nordwest her die Deutsche Bucht ansteuernd, wahrscheinlich in der unsichtigen Nacht weder das Norderneyer noch das Wangerooger Leuchtfeuer in Sicht bekam - auf Baltrum, Langeoog und Spiekeroog gibt es keine Leuchttürme -, kam den vor den Inseln liegenden Sänden zu nah und muß bei dem Bestreben sich freizusegeln, aufgelaufen sein. Dies geschah westlich der Otzumer Balje, dem Seegatt zwischen Langeoog und Spiekeroog, wo die Bark, offenbar nach einem mißglückten Wendemanöver, mit dem Bug nach NW zeigend, auf dem Westerriff festkam.
Jetzt im Winter ist für die Insulaner tote Zeit. Weder auf Langeoog noch auf Spiekeroog stehen Hotels oder Häuser direkt überm Strand oder auf den nach der See zu in mehreren Reihen vorgelagerten Dünen. Die Dörfer selbst liegen auf beiden Inseln hinter den Dünenketten. So kommt es, daß nur zufällig auf Langeoog der Rettungsmann Döring die von der Bark geschossenen Raketen bemerkt und meldet, die auf Spiekeroog aus den oben erwähnten Gründen unbeobachtet bleiben.
Zögernd weicht am Morgen des 10. Februar das Dunkel der Sturmnacht der unter wolkenverhangenem Himmel heraufziehenden Dämmerung. Am Strand beginnt die Brandung der anrollenden Flut die weiten Sandflächen mit ihrem Schaumgeriesel zu überziehen. Immer lauter dröhnen die Brecher, die in unablässigem Ansturm das Heulen des SW mit ihrem brüllenden Getöse übertönen. Draußen vor den Riffen - wie die der Nordseeküste vorgelagerten Sände genannt werden - leuchten weiße Reihen von Brandungswogen fahl durch den diesigen Morgen. Frierend, mit vom Wind aufgeplustertem Gefieder, trippeln Möwen in den breiten 'I'angstreifen, die, von der vorigen Flut zurückgelassen, in weiten Bögen den Strand entlang ihr dunkles Band aus Muscheln, Seegras, Korkresten, Algen, Holztrümmern, Quallen und Seesternen bilden.
Es ist 08 Uhr 30, als ein Strandläufer, vom Westen kommend, die Spiekerooger Dorfstraßen durch-eilt und das Haus des Vormanns Bernd Jansen Frerichs betritt.
„Schiff auf Strand!" meldet er in dem Platt, das alle Küstenleute untereinander gebrauchen. „Großer Segler. Ist auf dem Westerriff bei der Otzumer Balie aufgelaufen. Eine Bark. Zeigt die Notflaggen!" Der Vormann, der, an seinem Schreibtisch sitzend, bei den ersten Worten von seiner Arbeit aufsah und die Feder zur Seite legte, springt auf: „Muß ich mir selber ansehn. Los, zum Aussichtsturm!"
Er greift zur schweren Düffeljoppe, stülpt eine blaue Pudelmütze über den Schädel, nimmt das große Doppelglas vom Wandhaken und verläßt, gefolgt vom Strandläufer, die Diele. Vor dem Dorf, nach den Dünen zu, die jede Sicht nach See verhindern, steht der Aussichts-, d. h. Beobachtungsturm, ein hölzernes Gerüst, das hoch genug ist, den Blick nach allen Seiten über See und Watt freizugeben. Hastig klettern sie hoch. Der Sturm zerrt an ihren Jacken und Mützen. Endlich sind sie oben. Ehe noch der Strandläufer den Arm ausstreckt, hat der Vormann mit schnellem Blick die Lage erfaßt. Er hebt das Glas vor die Augen: „Schlimm", murmelt er, „die armen Kerle! Die kommen nicht mehr frei. Wir müssen versuchen, sie runterzuholen. Alarm!"
#7 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Während der andere hinunterrast, sieht Frerichs noch einmal hinüber. Quer über die Brandungsreihen der Robbenplate hinweg erkennt er auf den Sänden des Norderriffs im hochschäumenden Gischt schwerer Brecher eine Bark. Jede heranschwingende Woge hüllt das nach NW zu liegende Vor-schiff bis hoch hinauf in weißen Schaum. Dunkle Wassermassen überwaschen das Vordeck und stürzen mit gurgelndem Schwall herab zum Mitteldeck.
Der Vormann schraubt ein we-nig an der Optik. Nun sieht er, daß ein eng zusammengedrängter Haufen von Menschen auf dem erhöhten Achterdeck hinterm Ru-der versammelt ist. Zwei Flaggen wehen steif von der Signalleine der Gaffel.
„Nanni Caesar" liest der Vor-mann das Signal ab „Notsignal!"
Er versucht, sich ein Bild zu machen, wie viele Menschen dort wohl hinter dem Ruder sich drän-gen. Die Entfernung ist zu groß, er kann es nicht ausmachen. Noch stehen alle drei Masten, die Segel an Fock- und Großmast sind aufgegeit, noch scheint das Takelwerk in Ordnung zu sein. Er zieht das Taschentuch aus der Joppentasche, will die Gläser der Okulare, die beschlagen sind in der feuchten Luft, säubern, als auch schon der schaurige Ruf des Signalhorns hier und dort unten im Dorf ertönt. Männer stürzen aus den niedrigen, hübschen Fischerhäusern, Rettungsmänner eilen in der Richtung des kleinen Inselbahnhofs zum Sammelplatz andere hasten den Damenpad und Nordpad hinauf zu den Dünen, Ausschau zu halten.
Frerichs klettert hinab, läuft zu seinem Hause, die zur Rettungsfahrt notwendigen Kleidungs- und Ausrüstungsstücke zu holen. Aus einer Seitenstraße rollt der von zwei Pferden gezogene leichte Ackerwagen, der die Bootsbesatzung zum Rettungsschuppen hinausbringen soll. Von allen Seiten herankommend, klettern die Männer auf den hochrädrigen Wagen. Rasch überschaut der Vormann die eng Zusammenhockenden. Niemand fehlt. Da sind die Zwillinge Hinrich und j. Wiethorn, die Brüder O. und A. Willms, dazu Joh. Einem, Ch. Büschen, H. Röben, F. Heidefeld und B. Kleihauer. Die Peitschenschnur schnickt über die Rücken der Braunen und der Wagen fährt, gefolgt von einer Schar hilfsbereiter Insulaner, neben den Schienen der Inselbahn westwärts.
Dort liegt zwischen niedrigen Sandwellen, letzten Ausläufern der Dünen, der Steinschuppen mit dem Boot überm Rand der Wattwiesen. Der frei über den bereits überfluteten breiten Jans-Sand hereinwehende Südwest läßt die Mähnen der Pferde flattern und treibt den von den Hufen aufgeworfenen Sand seitlich in langen Streifen über die Wattweiden. Besorgt horcht der Vormann auf die Brandung, die, unsichtbar hinter den Dünen, über die Mittel Plate gegen die Buhnen der Westseite der Insel tobt, und deren Donnern in den kurzen Atempausen des Sturms zu vernehmen ist. Ein Blick übers Watt zeigt ihm, daß die sonst so glatte Fläche, mit der auflaufenden Flut in steile, kurze und mit weißen Schaumstreifen gekrönte Wellen aufgeteilt, in unruhiger Bewegung wogt.
Es ist 10 Uhr vormittags, als die beiden Pferde umgespannt sind, den schweren Ablaufwagen aus dem Schuppen gezogen und das Boot den langen Weg bis zum Wasser hinabgebracht haben. Die inzwischen herangekommene Gruppe der Insulaner hilft, das Boot, das den Namen „Alexander" trägt, gegen die Flut und den mit unverminderter Stärke rasenden SW-Sturm abzusetzen, nachdem die Besatzung hineingeklettert ist. Der Vormann hält die Steuerpinne in der Faust. Schaumflocken fliegen über die anrudernden Männer. Steil aufgerichtet klettert der Bug die erste größere Brandungswoge hinan, während der Vormann sich müht, das schon nach den ersten Ruderschlägen schwer arbeitende Boot auf den Kurs ins Seegatt zu zwingen.
Die Männer, die, sich weit über-legend, die langen Riemen durchziehen, beobachten plötzlich, wie in der Schillbalje, dem Fahrwasser nach Neuharlingcrsiel und dem Festland, zwei griesgraue Segel auftauchen. Die Segel, Luggersegel über einem mit raumem Wind über Steuerbordbug schräg geneigt dahinschießenden Boot, kommen rasch näher, sie passieren die im kurzen Seegang sich drehenden Fahrwassertonnen und werden, noch ehe die Höhe der weit ins Watt greifenden Spiekerooger Landungsbrücke erreicht ist, gerefft. Kurz danach dreht das Boot zum Seegatt, der Otzumer Balje, ein und nimmt den Kampf mit der schweren Grundsee zwischen Sü-derriff und Mittel Plate auf. Von Gischt und Schaum umsprüht steuert es der offenen See zu. Alle kennen dieses Boot.
#9 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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„Die Neuharlingersieler!" denkt der Vormann erleichtert. „Sie haben Luv, brauchen nicht mehr wie wir gegen Sturm und diesen mit jeder Minute stärker laufenden Flutstrom aufzukreuzen. Sie werden die Bark erreichen!"
Einen Augenblick überlegt er, wirft einen schnellen Blick über die See, die schweren Brecher, die im Fahrwasser heranschwingen, schätzt den unheimlich sein Boot versetzenden Strom, die Windstärke - und weiß mit einem Male, daß er heute das Boot nicht mehr hinaus zur Bark bringen kann. Unmöglich. Schon jetzt kommt die "Alexander" nicht von der Stelle, obwohl die Flut ihren höchsten Stand noch keineswegs erreicht hat.
Ich werde mich klarhalten, entscheidet er, wirft das Ruder herum und ruft den Männern seine Absicht zu, westlich nahe der Landebrücke und nahe dem Strand zu ankern.
Kurz danach liegt das Rettungsboot stampfend und schlingernd hinter seinem Ankertau. Ein Mann bleibt als Wache im Boot, während die anderen in ihren hohen Seestiefeln zum Strand waten. Von den Westdünen über den Buhnen beobachten sie, wie das Neuharlingersieler Boot gegen Mittag nahe der von wehenden Gischtfahnen fast verhüllten Bark liegt und, offenbar mit Rettungsarbeiten beschäftigt, dort verweilt. Die Männer nicken sich schweigend zu. Die da drüben werden's schon schaffen, denken sie und stampfen durch wehenden Dünensand beruhigt zum Dorf zurück.
Im Bestreben, nichts zu versäumen, was den unglücklichen Schiffbrüchigen helfen könnte, falls es dem Neuharlingersieler Boot nicht gelingen sollte, alle zu bergen, meldet der Ortsvorstand Johann O. Frerichs ein Ferngespräch mit Langeoog an. Die Postagentur Langeoog meldet sich.
„Hier Ortsvorstand Frerichs, Rettungsstation Spiekeroog. Geben Sie bitte dem Vormann Casper Otten von Ihrer Station folgendes durch: Auf dem Westerriff westlich der Otzumer Balje ist eine Bark gestrandet. Das Rettungsboot von Neuharlingersiel ist an der Unfallstelle. Verstanden?"
Der Beamte wiederholt und Frerichs legt befriedigt den Hörer auf die Gabel zurück.
#10 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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- Männer - Sturmsee und eine mutige Fahrt
In Neuharlingersiel sitzt am Morgen des 10. Februar der Fischerei-Reeder Eilt Jacobs in seinem Büro am Schreibtisch. Mit schräg geneigtem Kopf hält er die Feder und füllt den kaum sichtbar karierten Geschäftsbogen mit den klaren, gut lesbaren Zeilen seiner Kaufmannshandschrift. Ein Brief an einen Geschäftsfreund, wie er heute noch mehrere zu schreiben hat.
Aus der geöffneten Tür zum Wohnzimmer zieht der herbsüße Geruch des brennenden Torffeuers. Die Frauen klappern beim Abräumen mit dem Frühstücksgeschirr und stellen die zarten chinesischen Teetassen sorgsam in den Glasschrank zurück. Draußen heult der Sturm.
Die Außentür zum Hafen öffnet sich, schnelle Schritte klappen auf dem roten Klinkerboden des Flurs, der Zugwind läßt die Briefbogen und Abrechnungen auf dem Schreibtisch hochflattern. Erstaunt sieht der Reeder auf. Fischer Martin, der Sohn, steht in der Bürotür. „Bei der Otzumer Balle ist ein großer Segler aufgelaufen, Vater. Zeigt die Notflaggen!"
Die blauen Augen des Älteren sehen einen Augenblick unter zu-sammengezogenen Brauen den Jungen an, gleiten zur Uhr an der Wand. Es ist 08 Uhr 45. Bedächtig nimmt der Reeder noch einen Schluck aus der neben dem angefangenen Brief stehenden Teetasse, erhebt sich, zieht die blaue Schirmmütze mit dem goldgestickten Abzeichen über den Kopf, greift zum altmodisch schweren Doppelglas, und läßt sich vom Sohn in den kurzen Mantel helfen. Den erstaunt aufhorchenden Frauen wirft er im Vorbeigehen ein schnelles „Schiff in Not bei der Otzumer Balje" zu und geht mit dem Sohn das Hafenbollwerk entlang bis zum Haus mit dem kleinen Turm beim Signalmast über der Anlegestelle der Spiekerooger Dampfer. Noch liegt der lange, aus Steinquadern errichtete Leitdamm ebenso wie das dunkle, schlammige Schlickland vor dem Außendeich, auf dem Möwen und Krähen herumspazieren, über Wasser. Aber der Strom hat gerade gekentert und die Flut setzt langsam ein.
Der Südwest-Sturm hat die Sicht freigefegt. Ober die naß und braun in der fahlen Wintermorgenhelle sich breitenden Sände des Watts hinweg, dort, wo zwischen den weißen Dünen von Langeoog und Spiekeroog im Nordwesten die weiß leuchtenden Striche der Brandung bei den Außensänden in wechselndem Aufschäumen eine unruhig tanzende Kimm bilden, liegt ein Schiff. Drei Masten eines Seglers ragen gegen den schmutziggrauen Himmel. Der Reeder erkennt die beiden Flaggen des Notsignals: „Sofort zu Ulrich, Martin! Er muß Alarm für unser Rettungsboot geben, lauf!" Während der Sohn zu dem dicht neben dem väterlichen Haus liegenden, giebeldachigen Fischerhaus des Rettungsbootsvormanns Ulrich Steffens eilt, mustert Jacobs noch einmal das unglückliche Schiff. Mit kahlem Takelwerk und den wie beschwörend zum Himmel gereckten drei Mastfingern sitzt es mitten in den an den Bordwänden hochwuchtenden Brechern hilflos fest.
Windverwehter Hornruf schallt über den Hafen. Die Rettungsmänner sammeln sich beim Bootsschuppen auf der Westseite der Einfahrt. Die schweren Flügeltore öffnen sich, schon gleitet die „Frauenlob" - das mit dem Geld, das Frauen für das Rettungswerk sammelten, gebaute Boot der Station - die lange Gleitbahn hinab und klatscht ins schmutzigbraune, ölige Sielwasser. Vor den Giebelhäusern, rund um den mit Krabben- und Fischkuttern, Motorbooten und dem Schillsauger des Reeders vollgepferchten Hafen, stehen die Fischer in Gruppen. Die Fäuste in den Taschen ihrer schweren Seemannshosen, in Isländern und Pudelmützen, sehen sie schweigend zu, wie im Boot die Masten aufgerichtet, die Rahen mit den Segeln und Fallen bereitgelegt werden. Ulrich Steffens hält die Rechte auf der Ruderpinne, Jacobs, der als Bootsmann im Bug sitzt, schießt die Vorleine auf, und die übrigen acht Mann der Besatzung, unter ihnen die beiden Söhne Karl und Georg des Vormanns, legen die Riemen klar von ihren Sitzen, die Schotmänner nehmen die Schoten der Segel zur Hand. Ein Hieb des Vormanns mit erhobenem Arm von oben nach unten: Fock und Großsegel steigen am Mast hoch, werden vom Wind gefaßt. Hand über Hand werden Schoten angeholt, das Boot legt sich zur Seite und gleitet, Wind- und Ruderdruck folgend, ins Tief. Die Zuschauer beobachten, wie es, rasch Fahrt aufnehmend, mit vollen Segeln an den Pricken vorbeirauscht. Ein paar große, braungesprenkelte junge und einige alte Silbermöwen, weiß, mit blaugrauen Flügeldecken und schwarzen Flügelspitzen, erheben sich kreischend von den Steinen des Leitdamms und folgen flügelschlagend dem Kielwasser des Bootes.
Bald nach Verlassen des Tiefs, nach dem Passieren der Endpricke des Leitdamms und dem Aufdrehen ins Fahrwasser der Schillbalje, wird der bisher fast achterliche Wind so hart, daß der Vormann schleunigst die Segel für die Weiterfahrt mit raumen, d.h. querein stehendem Wind reffen läßt. Trotzdem schießt das Boot mit erstaunlich schneller Fahrt dahin. Der Seegang im Fahrwasser wird höher, das Boot beginnt stark zu arbeiten. Querab beobachten sie das Spiekerooger Boot, das offensichtlich der Spiekerooger Landungsbrücke zustrebt. Der Vormann, der immer wieder aufmerksam den aufgelaufenen Segler beobachtet, läßt die „Frauenlob" die Otzumer Balje bis dicht hinter die sehr hohe Brandung des Norderriffs hinablaufen. Hier draußen tobt der stürmische Südwest mit voller Gewalt. Ich muß näher heran, denkt Ulrich Steffens. Drüben auf der Bark ist der Besanmast bereits über Bord gegangen. Von der Besatzung des Seglers ist nichts zu erkennen!
„Klar zum Wenden!" schreit der Vormann. „Müssen näher ran! Sehn, ob noch Menschen an Bord sind!" Die anderen nicken nur. Sie wissen, es geht nicht anders: wenn sie Luv gewinnen und näher heran wollen, muß das Boot wenden. Der Vormann drückt die Ruderpinne herum, das Boot dreht an, geht, heftig sich überlegend, hoch an den Wind, steht einen Augenblick mit flatternden Segeln stark stampfend auf der Stelle, dann füllt sich langsam die Fock, der Bug fällt ab, das Großsegel faßt Wind, und die „Frauenlob" läuft über Backbordbug auf den neuen Kurs. Alle sehen gespannt nach dem Wrack. Da entdecken sie, daß ein Mann die Großwanten niederentert. Mehr ist bei dem dauernd in Schaum und Gischt gehüllten Segler aus dieser Entfernung nicht auszumachen.
„Wir müssen durch! Da sind noch Menschen an Bord!" ruft Steffens, und alle nicken ihm zu. Sie, die erfahrenen Fischer, wissen genau, was das heißt „durch"! Um windwärts Raum zu gewinnen und noch näher an die Bark heranzukönnen, müssen sie wieder abfallen, müssen durch die schwere Brandung, die an den Sänden quer vor der Einfahrt der Otzumer Balje steht, in die offene See hinaus, um von dort her so nah wie möglich an den gestrandeten Segler herangehn zu können.
Das Manöver gelingt. Jeder im Boot weiß, was er zu tun hat, und der Vormann ist selbst Fischer, hat oft genug seinen Kutter draußen durch Sturm und hohen Seegang gesteuert. Über Steuerbordbug geht's hinein in die Brandung. Den rechten Arm um die Ruderpinne gelegt, sieht Ulrich Steffens den ersten schweren Brecher heranschwingen. Hoch über dem Bug schäumt die rundgebogene Wand wie ein Wasserfall, an dessen Fuß brodelnder Schaum quirlt. Mit ungeheurer Gewalt und Schnelligkeit rast der Brecher heran. Steil hebt sich der Bug, dem Ruderdruck gehorchend, als die „Frauenlob" senkrecht zum Roller unter starkem Segeldruck vorschießt. Donnerndes Tosen dröhnt den Männern in die Ohren, Gischt fährt mit sausendem Schwung über Besatzung und Boot, Salzwasser gurgelt von vorn und beiden Seiten über die Bordwände schwappend herein. Im Nu ist das Boot halb mit Wasser gefüllt, zieht schwerfällig weiter, dem nächsten Brecher entgegen, hebt sich, durchbricht die Schaumwand, nimmt neue Fluten eiskalten Schaumwassers über, und taumelt, seltsam unbeweglich geworden durch das im Boot hin- und herschwappende Wasser, dem dritten Brecher in die Zähne. Der Vormann zieht die Brauen zusammen, die braune, vom Salz gerötete Haut spannt sich an den Backen-knochen, die salzverkrusteten Au-gen spähen nach der nächsten See, die er ebenso wie die voraufgegangenen senkrecht mit dem Boot nehmen muß, wenn das Boot nicht kentern und überrollt werden soll.
Wer die Brandung an den Sänden der Nordseeküste und die Grundsee in den schmalen Fahrwassern der Seegatts zwischen den Inseln kennt, begreift selbst als seebefahrener Fachmann kaum, wie die kleinen Ruderrettungsboote von damals derartige Fahrten durchstehen konnten. Es gehören Männer dazu, wie es diese Neuharlingersieler und die anderen Rettungsmannschaften der Küste waren und heute noch sind. Stämmige, muskelbepackte blauäugige Friesen, Fischerleute, denen die See die Heimat, die Seefahrt in ihren wetterfesten Kuttern den selbstverständlichen Beruf bedeutet.
Ulrich Steffens und seine Männer schaffen es. Zwei, drei Brecher noch, dann haben sie die schlimmste Brandung hinter sich und nur noch den gewiß hohen, aber gleichmäßigen Seegang der offenen See zu bewältigen. Das Boot ist bis zu den Duchten (Ruderbänken) mit Wasser gefüllt. „Nieder mit der Fock!" ruft der Vormann. „Ich laß' das Boot treiben, bis wir alles gelenzt (ausgeschöpft) haben!"
Die Fockrah mit ihrem Segel geht nieder. Die „Frauenlob" treibt nun mit gerefftem Großsegel, bis genügend Wasser gelenzt ist, um den Kurs auf das Wrack wagen zu können.
Endlich ist es so weit. Sie laufen, aus See kommend, zum Wrack zurück. Was sie vorhin nicht so genau beobachten konnten, das erkennen sie jetzt: Wie sieht das schöne Schiff aus! Der Besanmast ist durch das von der auflaufenden Flut verursachte harte Aufsetzen der Bark weggebrochen. Gaffel und Besansbaum, dazu einige Rahen des noch stehenden Großmasts, sind von oben gekommen und treiben nun, mit Tau- und Takelwerk verstrickt, als wirrer und gefährlicher, treibender Trümmerhaufen an Steuerbordseite der Bark im hohen Seegang hin und her. Nur der Fockmast trägt noch alle fünf Rahen mit aufgegeiten Segeln und alles Takelwerk des stehenden und laufenden Gutes. Zwei oder drei der langen, schweren Rahen des Großmasts liegen quer über Deck, auf dem ein wirrer Knäuel von Stahl- und Hanftauwerk, Blöcken und Taljen alles versperrt.
Mit einem Blick hat der Vormann die Lage erfaßt. Hier kann er unmöglich längsseits gehn. Ganz abgesehn von der ungeheuer hohen Brandung, die längs der Schiffsseiten vorbeirauscht und den Aufenthalt auf Vor- und Mitteldeck unmöglich macht. Bis auf das höher gelegene Achterschiff wird alles von schaumgestreiften, grünglasigen Wassermassen in regelmäßigen Abständen völlig überflutet.
#12 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Kurz entschlossen dreht der Vormann auf. Er läßt die Segel aufgeien und geht, etwa 15 m vom Steuerbordachterdeck der Bark entfernt, neben dem Achterschiff zu Anker. Eine unglaublich hohe See läuft. Trotz ständigen Ausschöpfens füllt sich das Rettungsboot mehr und mehr mit Wasser. An der Reling des Achterdecks drängt sich die 14köpfige Besatzung des Seglers. Am Heck hängt eins der Boote - die anderen sind offenbar von der See weggeschlagen und zertrümmert worden - in seinen Davits. Mit weißen Buch-staben steht der Name "Paul" und der Heimathafen Pori am Heck der Bark.
Dem Rettungsbootsvormann, der verzweifelt erwägt, wie er diese unglücklichen Menschen - sogar eine Frau steht oben an der Reeling - herunterholen soll, kommt blitzschnell ein Gedanke. Lange kann er hier nicht liegen bleiben, sonst schlägt ihm diese fürchterliche Riffbrandung das eigene Boot randvoll. Aber da hängt doch das offenbar neue, unbeschädigte Boot der Bark. Es ist fast so groß, wie die "Frauenlob". Mit dem könnte man eine Verbindung herstellen, die Besatzung herübernehmen und fortsegeln. Er steht auf, nimmt die Pinne zwischen die Schenkel und hebt die Hände zum Trichter vor den Mund.
„Fiert das Boot weg!" schreit er gegen den Sturm, weist auf das Heckboot und macht mit beiden Armen eine entsprechende Bewegung. Die Menschen an der Reeling oben sehen sich an, schütteln die Köpfe. Sie haben nicht verstanden.
„Lower - that - boat! - brüllt der Vormann. „Get your boat down! Fier die Boot dahl!"
Endlich haben sie begriffen. Ein paar Seeleute laufen an die Davits, nehmen die Leinen von den Klampen, andere stellen sich klar zum Fieren (Herunterlassen des Bootes) auf. Drei Mann, darunter ein großer, schlanker, wohl der Erste Maat oder Steuermann der Bark, springen ins Boot. Einer, vorn im Boot, gibt die Fangleine zum Achterdeck, die Schiffbrüchigen fieren, und langsam senkt sich das Boot, klatscht auf die See und stampft hinter dem schön geschwungenen, überhängenden Heck des Seglers heftig in der aufgewühlten See. Im Boot bleibt einer bei der Fang-leine, der Mann in der Mitte hält einen Riemen und der Steuermann ist ans Ruder gesprungen. Sie alle bemühen sich, ihr Boot so nahe an die Bark heranschceren zu lassen, daß die Schiffbrüchigen an Leinen heruntergelassen werden könnten. Vergebens, der außergewöhnlich hohe Seegang, die schweren Brecher, die längs der Bordwände des Seglers heranrasen, schleudern trotz Ruder und Riemen das Boot fortgesetzt 10 m nach jeder Seite.
Todesangst malt sich auf den Gesichtern der Barkbesatzung. Sie erkennen die Unmöglichkeit, auf diese Weise von Bord zu kommen. Im Rettungsboot, wo mehrere Mann ununterbrochen Wasser schöpfen, überlegen sie, wie man wenigstens zunächst einmal diese Drei vom Boot der "Paul" retten könnte.
„Sie müssen zu uns abscheeren, Vater!" sagt Karl Steffens und Jacobs im Boot stimmt ihm zu: „Müßte gehn, die Fangleine im Boot ist lang genug, meinst Du nicht auch?"
Der Vormann hat den Gedanken sofort aufgenommen: „Ich scheere auch zu ihnen rüber.
Der Anker hält, er hat gut gefaßt. Gott sei Dank! - Karl, nimm die Wurfleine klar!"
Sie wollen beide Boote mit diesem Manöver so einander näher bringen, daß mit der Wurfleine eine Verbindung hergestellt und die Drei herübergezogen werden können. Ein Längsseitkommen beider Boote verbietet der Seegang, der sie aneinanderschlagen und zertrümmern würde.
Wieder hebt der Vormann die Hände zum Mund: „Ranscheeren! Get your boat alongside! Wir nehmen Euch über!" Er macht Zeichen, er winkt, und ruft in Hochdeutsch, Englisch, Friesisch und Küstenplatt den Dreien seinen Plan zu. Eine Weile noch dauert es, dann hebt der Große den linken Arm: „Got you! Allright!"
#14 RE: Katastrophen auf See - die Strandung der finnischen Bark "Paul"
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Gleich darauf legt er Ruder. Das große neue Boot scheert nach Steuerbord, die Fangleine strafft sich wie eine Violinseite und kommt in ihrer ganzen Länge triefend aus dem Wasser. Auf der "Frauenlob" läßt der Vormann mit Backbordruder sein Boot nach Backbord ausscheeren. Schon haben sich beide Boote bis auf 5 m genähert, Karl Steffens, breitbeinig im Boot stehend, wiegt bereits die sorgsam in Rundtörns aufgeschossene Wurfleine in der Hand, da geschieht es! Ein Brecher, größer, breiter, wuchtiger als alle anderen, donnert heran, trifft das schräg zur See liegende Boot der "Paul", überrollt es im Nu, daß es kentert und kieloben treibend wieder zurückscheert. Vom Achterdeck der Bark schrillt ein Frauenschrei durch den Sturm. Der Vormann, der im letzten Augenblick den Brecher gerade noch durch hartes Ruderlegen nehmen konnte, obwohl das halb mit Wasser gefüllte Boot dem Steuer nur schwer gehorcht, sieht mit Entsetzen das Unglück und die drei im Wasser treibenden Köpfe.
Hier gibt es nur eins, und Ulrich Steffens weiß es: „Auf mit dem Anker, Eilts! Schnell!"
Hand über Hand, unterstützt von den Rettungsleuten der vordersten Duchten, holt Jacobs, ständig übersprüht von Gischt, eisigem Seewasser und Salzschaum, mit frostklammen Händen Ankertau und Anker ein. Dann werfen sie auf einen Wink des Vormanns die Riemen in die Dollen und rudern an. Sie brauchen nicht herumzudrehn, was auch in der Brandung unmöglich wäre: Flutstrom und Wind haben genügt, das Boot in der kurzen Zeit, in der der Anker hochgehievt wurde, weit genug zurückzutreiben. Hinter dem gekenterten Boot taucht der Oberkörper des Steuermanns auf, er hält beide Arme hoch und sein „Help! Help!" klingt schauerlich und verzweifelt herüber. Die Rettungsmänner legen sich mit aller Kraft in die Riemen, vergebens; ganz nah schon dem Boot, sackt der Körper des Unglücklichen plötzlich ab und versinkt wie ein Stein. Der zweite treibt, ohne daß sie ihm Hilfe bringen können, mit der Flut schon weit achteraus, auch er wird bald nicht mehr gesehn. Dem dritten, dem es gelang, zum Heck der Bark zu schwimmen, wird eine Leine zugeworfen, die er, angestrengt arbeitend, sich um den Leib knotet. Er wird von den Schiffbrüchigen glücklich zurück an Bord gezogen.